1. Ziel der Vorschrift

 

Rz. 304

[Autor/Stand]"Als Schenkung gilt, ... was bei Aufhebung einer Stiftung ... erworben wird". Dem Wortlaut nach geht die Vorschrift ins Leere. Die Aufhebung einer Stiftung – sie erfordert einen entsprechenden Beschluss des Vorstands[2] und/oder eine Entscheidung der Stiftungsbehörde (§ 87 Abs. 1 BGB)[3] – bewirkt noch keinen unmittelbaren Erwerb. Vielmehr ändert sich der Zweck der nun in Auflösung befindlichen Stiftung, deren Vermögen nach § 88 Satz 1 BGB erst "mit dem Erlöschen der Stiftung ... an die in der Verfassung bestimmten Personen (fällt)." Wenn nicht, mangels entsprechender Bestimmung, der Fiskus das Stiftungsvermögen durch Gesamtrechtsnachfolge erwirbt (§ 88 Sätze 2, 3 i.V.m. § 46 Satz 1 BGB),[4] wird die solange fortbestehende Stiftung liquidiert (§ 88 Satz 3 i.V.m. §§ 47, 49 Abs. 2 BGB).[5] Mit § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 ErbStG sollte offenbar jeder Erwerb von Stiftungsvermögen per Fiktion der Schenkungsteuer unterworfen werden, der sich im Zuge der Liquidation einer Stiftung ereignet.[6]

[Autor/Stand] Autor: Hartmann, Stand: 01.06.2020
[2] Vgl. OLG Koblenz v. 17.12.2001 – 12 U 1334/01, ZEV 2002, 238 (im Streitfall war Entscheidungsorgan ein Stiftungsbeirat).
[3] S. hierzu die Stiftungsgesetze der Bundesländer.
[4] Wiese in Erman, BGB15, § 88 Rz. 2; Westermann in Erman, BGB15, § 46 BGB Rz. 1. – S. hierzu die Stiftungsgesetze der Bundesländer.
[5] BFH v. 30.11.2009 – II R 6/07, BStBl. II 2010, 237 = ErbStB 2010, 93 (Kirschstein).
[6] Kipp, Komm. z. ErbStG i.d.F. v. 22.8.1925, § 3 Anm. 191; Finger, ErbStG i.d.F. v. 25.6.1931, § 3 Rz. 13.

2. Anwendung der Vorschrift

 

Rz. 306

[Autor/Stand] Unstreitig erfasst § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 Alt. 1 ErbStG den Erwerb von Stiftungsvermögen durch Anfallberechtigte; das sind die als solche in der Stiftungssatzung benannten Personen (s. § 88 Satz 2 BGB).[2] Mit der "Ausantwortung" des Restvermögens werden ihre hierauf konkretisierten Ansprüche[3] durch die Stiftung i.L. erfüllt (§ 88 Satz 3 i.V.m. § 49 Abs. 1 Satz 1 BGB), weshalb § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG sowohl mangels steuerbarer Bereicherung[4] als auch wegen fehlender Freigebigkeit nicht greifen kann.[5]

 

Rz. 307

[Autor/Stand] Eine Steuerpflicht kommt nur für Erwerber in Frage, deren Erwerb insb. nicht nach § 13 Abs. 1 Nrn. 15–18 ErbStG privilegiert ist (s. § 13 ErbStG Rz. 138–149, 153 ff., 201).[7] Tatbestandlich ist auch der Anfall (Rückfall?) von Stiftungsvermögen an den/die Stifter;[8] hierbei gilt stets StKl. III.[9] Werden nicht anfallberechtigte Personen aufgrund autonomer Entscheidung der Liquidatoren aus dem Stiftungsvermögen bereichert,[10] ist die Anwendung des § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 Alt. 1 ErbStG umstritten.[11] Wer diese leider nicht präzise formulierte Norm (s.o. Rz. 304) wirklich ganz eng auslegen will, müsste sie eigentlich auf die Fälle der tatsächlichen Auskehrung des in Geld umgesetzten Restvermögens einer liquidierten Stiftung beschränken (s. § 88 Satz 3 i.V.m. § 49 Abs. 1 Satz 1 BGB), so dass konsequent nur der letzte Zahlungsvorgang erfassbar und durch gezielt niedrige Restzahlung jedwede Steuerfestsetzung vermeidbar wäre.[12] Richtigerweise unterliegen daher alle Übertragungen aus dem Stiftungsvermögen dem speziellen Zugriff nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 Alt. 1 ErbStG, wenn sie denn im Rahmen der am Ende ihrer Liquidation erlöschenden Stiftung erfolgen. Besteht die Stiftung hingegen unverändert fort, kann allenfalls § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG einschlägig sein (oder aber § 7 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG – s. § 7 ErbStG Rz. 241).[13]

 

Rz. 308

[Autor/Stand] § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 Alt. 1 ErbStG soll auch bei Zulegung einer Stiftung auf eine andere Stiftung Anwendung finden, ebenso bei Zusammenlegung mehrerer Stiftungen zu einer neuen Stiftung.[15] Vor die Finanzgerichtsbarkeit gelangten solche Fälle noch nicht. Daher blieb bislang ungeklärt, wie die hierbei auftretende Konkurrenz zu § 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 ErbStG (bei Zulegung, da Zustiftung, auch zu § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG – s. § 7 ErbStG Rz. 283) zu lösen ist.[16] Dass die Finanzverwaltung auch die Satzungsänderung einer Familienstiftung, die den Stiftungscharakter verändert, als Aufhebung der bisherigen und Errichtung einer neuen Stiftung ansieht,[17] stößt nicht auf Zustimmung.[18] Allerdings vermeidet sie die Kollision beider Vorschriften durch Verzicht auf einen Zugriff nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 Alt. 1 ErbStG.[19]

 

Rz. 309

[Autor/Stand] Steuerentstehungszeitpunkt: Der Schenkungsteueranspruch entsteht nicht schon im Zeitpunkt des Aufhebungs- oder Auflösungsbeschlusses;[21] für die "Ausantwortung" des Stiftungsvermögens gilt grundsätzlich eine einjährige Sperrfrist (§ 88 Satz 3 i.V.m. § 51 BGB). § 7 Abs. 9 Satz 1 Alt. 1 ErbStG kann daher vor dem Erwerb des jeweiligen Vermögensgegenstands tatbestandlich noch nicht erfüllt sein (§ 38 AO).[22] In Anwendung der nicht so recht passenden Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG stellt man darauf ab, wann der zivilrechtliche Vermögensübergang rechtswirksam wird.[23] Allerdings fällt das Vermögen der Stiftung erst mit ihrem Erlöschen den anfallbe...

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