Hans-Werner Högl, Friedemann Kirschstein
1. Gesamter Vermögensanfall
Rz. 9
Nach Satz 2 von § 10 Abs. 1 ErbStG wird in den Fällen des § 3 ErbStG (s. § 3 ErbStG Rz. 70 ff.), also bei Erwerben von Todes wegen, der gesamte Vermögensanfall erfasst, sofern für die Wirtschaftsgüter, aus denen er besteht, nach § 12 ErbStG ein Wert festzustellen ist. Die Zurechnung der angefallenen Wirtschaftsgüter knüpft im Erbschaftsteuerrecht grundsätzlich an bürgerlich-rechtliche Vorgänge an, während im Ertragsteuerrecht die wirtschaftliche Betrachtungsweise (s. § 39 Abs. 2 AO) vorherrscht. Die Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG besteuert ausdrücklich den Erbanfall nach § 1922 BGB, sodass insoweit eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ausgeschlossen ist. Der Besteuerung des Erwerbs von Todes wegen muss jedoch das wirtschaftliche Ergebnis zugrunde gelegt werden, das durch die zivilrechtlichen Normen vermittelt wird (s.a. § 3 ErbStG Rz. 5).
2. Ausnahmen von der bürgerlich-rechtlichen Betrachtungsweise
a) Formunwirksame Verfügungen
Rz. 10
Nach der BFH-Rechtsprechung ist bei formunwirksamen Verfügungen von Todes wegen, vor allem bei Vermächtnissen, auf das wirtschaftliche Ergebnis abzustellen, wenn trotz des Formmangels diese von allen Beteiligten befolgt wurden (§ 41 AO ).
b) Umfang des Betriebsvermögens
Rz. 10.1
Eine weitere Ausnahme ergibt sich durch die Verweisung in § 12 Abs. 5 ErbStG auf § 95 Abs. 1 BewG, (über § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BewG), wonach sich der Umfang des Betriebsvermögens grundlegend danach richtet, was ertragsteuerlich dem Betriebsvermögen zugerechnet wird. Darüber hinaus ist z.B. der Begriff der Gesellschaft in § 13a Abs. 4 Nr. 1 ErbStG a.F. (nunmehr gleichlautend in § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) ertragsteuerlich auszulegen. Es ist nicht auf die zivilrechtliche Beteiligung an einer Personengesellschaft, abzustellen, sondern auf die Stellung als Mitunternehmer.
c) Erwerb eines Gesellschaftsanteils an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft oder einer anderen Gesamthandsgemeinschaft
Rz. 10.2
Nach Verwaltungsauffassung können bei einem Erwerb eines Gesellschaftsanteils an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft (nicht unter § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BewG fallend) die Besitzposten und Gesellschaftsschulden der Gesamthandsgemeinschaft nicht zu einer wirtschaftlichen Einheit (in der die Schulden und Lasten negative Elemente des einheitlich gedachten Anteils sind und ungekürzt in die Bewertung der Beteiligung einfließen) zusammengefasst werden. Diese Vorstellung liegt auch der gesetzlichen Regelung in § 10 Abs. 1 Satz 4 ErbStG zugrunde, wonach der Erwerb einer solchen Beteiligung als Erwerb der anteiligen Wirtschaftsgüter gilt und die dabei übergehenden Schulden wie eine Gegenleistung zu behandeln sind.
Zweck der Regelung ist letzlich die Verhinderung eines Missbrauchs, die zum Rechtsinstitut der gemischten Schenkung (s. § 7 ErbStG Rz. 64 ff.) geführt hat. Die Zuwendung eines steuerlich gering bewerteten Grundstücks (nach dem neuen Bewertungsrecht eigentlich seit 2009 nicht mehr möglich, weil für alle Vermögensgegenstände der gemeine Wert gilt) soll nicht durch die Vereinbarung einer ebenfalls nur geringen Gegenleistung der Besteuerung entzogen werden (s.a. Rz. 43). Anlass für die seit 1.1.1997 geltenden Regelung war, dass der BFH im Urteil v. 14.12.1995 die Auffassung vertreten hatte, der Anteil sei eine wirtschaftliche Einheit.
Beim Erwerb von Todes wegen darf jedoch nach Auffassung der Finanzverwaltung der Erwerber die anteiligen Gesellschaftsschulden demgegenüber als Nachlassverbindlichkeiten abziehen gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG. Da § 10 Abs. 1 Satz 4 ErbStG sich nur auf Schenkungen bezieht, weil bei Erwerben von Todes wegen das Ergebnis der Wertermittlung nicht dadurch verändert wird, dass anstelle des Anteilswertes die Summe der Anteile an den einzelnen Wirtschaftsgütern angesetzt wird, gilt er nicht bei Schenkungen auf den Todesfall gemäß § 3 Nr. 2 Satz 2 ErbStG (s.a. Rz. 44).