Rz. 201
Das Grundsteuergesetz definiert trotz Verwendung an verschiedener Stelle den Begriff der Wohnung nicht. Auch aus den allgemeinen Vorschriften des Bewertungsgesetzes lässt sich keine Definition des Begriffs der Wohnung entnehmen. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Tatbestandsmerkmals Wohnung ist nicht von der Einheitlichkeit der Rechtsordnung auszugehen. Zu anderen Rechtsgebieten entwickelte Auslegungsgrundsätze sind damit grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Maßgeblich ist die in der Rechtsprechung entwickelte typologische Umschreibung zum Wohnungsbegriff sowie die zusätzlich entwickelten Rechtsgrundsätze i.S.d. Bewertungs- bzw. Grundsteuerrechts.
Rz. 202
Die Vorschrift des § 181 Abs. 9 BewG, wonach das Vorhandensein einer Wohnung insb. eine Wohnfläche von mindestens 23 qm voraussetzt, ist im Rahmen des § 5 Abs. 2 BewG nicht anwendbar. Entsprechend ihrer systematischen Stellung im Sechsten Abschnitt des Zweiten Teils des BewG gilt die Regelung lediglich für Zwecke der Erbschaftsteuer ab 1.1.2009. Unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit der Vorschrift, stimmen die einzelnen Vorgaben des § 181 Abs. 9 BewG jedoch weitestgehend mit den zum Wohnungsbegriff i.S.d. § 5 Abs. 2 GrStG durch die Rechtsprechung entwickelten Merkmalen überein.
Rz. 203
Anzuknüpfen ist bei dem Begriff der Wohnung i.S.d. § 5 Abs. 2 GrStG auch nicht an das im Einkommensteuergesetz verwendete Tatbestandsmerkmal des zu Wohnzwecken dienen i.S.d. § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG. Dieses Merkmal setzt nicht nur die entsprechende abstrakte Eignung, sondern auch die konkrete Bestimmung des Gebäudes voraus, Menschen auf Dauer Aufenthalt und Unterkunft zu ermöglichen. Gemäß des dem Willen des historischen Gesetzgebers zugrunde liegenden Regelungszwecks liegt es in der Entscheidung des Eigentümers zu bestimmen, zu welchen Zwecken er sein Gebäude vermietet. Dagegen basiert der Wohnungsbegriff i.S.d. § 5 Abs. 2 GrStG auf einer ausschließlich objektiven Betrachtung hinsichtlich der Möglichkeit zum Wohnen in bestimmten Räumlichkeiten.
Rz. 204
Der Begriff der Wohnung i.S.d. § 5 Abs. 2 GrStG knüpft an die typologische Umschreibung des bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriffs an. Unter einer Wohnung in diesem Sinn ist die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen zu verstehen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, dass sie die Führung eines selbständigen Haushalts auf Dauer ermöglichen. Ausgangspunkt für eine weitere Differenzierung des Begriffs ist, dass eine abgeschlossene Wohneinheit vorhanden sein muss, die eine bestimmte Fläche nicht unterschreitet und bei der die für die Führung eines selbständigen Haushalts notwendigen Einrichtungen wie Küche oder zumindest ein Raum mit Kochgelegenheit, Bad bzw. Dusche und Toilette vorhanden sind. Zusätzlich muss ein eigener Zugang zu den genutzten Räumlichkeiten bestehen. Gegen eine solche Auslegung des § 5 Abs. 2 GrStG bestehen nach Ansicht der Finanzrechtsprechung keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Rz. 205
Der Begriff Wohnung wird methodisch als unbestimmter Rechtsbegriff behandelt. Kennzeichnend für einen solchen Begriff ist es, dass er nicht durch die Angabe genauer Merkmale bestimmt ist. Er enthält einen festen sog. Begriffskern und einen mehr oder weniger weiten sog. Begriffshof. Der Sinngehalt ist mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln zu erschließen. In methodologischer Hinsicht handelt es sich beim Wohnungsbegriff nicht um einen Klassenbegriff, sondern um einen Typus, d.h. um einen offenen Begriff, der nur umschrieben, jedoch nicht definiert werden kann. Das Charakteristische am Typus ist, dass einzelne Merkmale nicht unbedingt logisch konstitutive Bedeutung haben, sondern dass sie in geringerem oder größerem Umfang erfüllt sein und sich unter Umständen sogar substituieren können. Die Behandlung des Wohnungsbegriffs als eines offenen Typusbegriffs ließ es zu, dass besondere Umstände, wie die Wohnungssituation in der Kriegs- und Nachkriegszeit und die damit verbundene Änderung der Wohngepflogenheiten, besondere örtliche Verhältnisse sowie auch individuelle bauliche Gestaltungen in angemessener Weise berücksichtigt werden konnten. Auf diese Weise ist Raum für eine den tatsächlichen Gegebenheiten im Wohnungsbereich entsprechende Auslegung.
Rz. 206
Für die Beurteilung der Frage, ob die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen den bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriff erfüllt, ist für Stichtage ab 1.1.1974 wesentlich, dass diese Zusammenfassung von Räumen eine von anderen Wohnungen oder Räumen, insb. Wohnräumen, baulich getrennte, in sich abgeschlossene Wohneinheit bildet und somit eine in sich geschlossene Wohneinheit mit eigenem Zugang darstellt.
Rz. 207
Ob die erforderlichen Merkmale des Wohnungsbegriffs im Einzelfall gegeben sind, entscheidet sich nach der Verkehrsauffassung. Dabei handelt es sich um die gerichtsbekannte Anschauung, die urteilsf...