Rz. 29
Die Lebensdauer eines Gebäudes kann durch bauliche Maßnahmen wesentlich verlängert werden. Sofern Mängel und Schäden nicht behoben werden oder überhaupt nicht behebbar sind, kann die Lebensdauer eines Gebäudes dagegen wesentlich verkürzt werden. Liegen solche Verhältnisse bei einem Gebäude vor, müssen sie bei der Einheitsbewertung berücksichtigt werden. Das geschieht in der Weise, dass sich der Vervielfältiger nicht nach dem tatsächlichen Baujahr richtet. Vielmehr ist zur Bestimmung des maßgebenden Vervielfältigers von einem der Verlängerung oder Verkürzung der Lebensdauer des Gebäudes entsprechenden späteren oder früheren Baujahr (fiktiven Baujahr) auszugehen (§ 80 Abs. 3 BewG). Dabei sind dem tatsächlichen Baujahr die Jahre hinzuzurechnen, um die sich die Lebensdauer des Gebäudes verlängert hat, bzw. sind vom tatsächlichen Baujahr die Jahre abzuziehen, um die sich die Lebensdauer verkürzt hat.
Rz. 30
Bei Baumängeln und Bauschäden eines Gebäudes muss unterschieden werden, ob es sich um behebbare oder nicht behebbare Mängel und Schäden handelt. Nur nicht behebbare Mängel und Schäden dürfen nach § 80 Abs. 3 BewG durch eine Verkürzung der Lebensdauer des Gebäudes und damit durch den Ansatz eines fiktiven Baujahrs ausgeglichen werden. Die am Bewertungsstichtag bestehenden behebbaren Mängel und Schäden sind dagegen durch eine Ermäßigung des Grundstückswerts zu berücksichtigen (vgl. § 82 Abs. 1 Nr. 2 BewG).
Rz. 31
Eine wesentliche Verlängerung der Lebensdauer eines Gebäudes durch bauliche Maßnahmen kann nur angenommen werden, wenn das Gebäude durchgreifend erneuert oder verbessert worden ist. Es muss sich dabei um eine Erneuerung des Gebäudes in seinen tragenden Bauteilen handeln. Dementsprechend hebt die Begründung zum ÄndG-BewG hervor, dass die Erneuerung eines Gebäudes in seinen wichtigen Bauteilen wie beispielsweise Mauern, Decken, Treppen, Dach oder dgl. in aller Regel zu einer Verlängerung der restlichen Lebensdauer führt. Bauliche Maßnahmen an nicht tragenden Bauteilen – wie beispielsweise bei der Neugestaltung der Fassade – verlängern die Lebensdauer eines Gebäudes nicht.
Beispiel 1
"Das Gebäude eines Mietwohngrundstücks in einer Gemeinde mit über 500 000 Einwohnern ist im Jahre 1910 errichtet worden. Es handelt sich um einen Holzfachwerkbau mit Ziegelsteinausmauerung. Der Vervielfältiger wäre demnach 5,1 (Teil B der Anlage 3 des Gesetzes, Teil B der Anlage 8 der Richtlinien). Infolge durchgreifender Erneuerungsarbeiten ist die restliche Lebensdauer um 20 Jahre verlängert worden. Der nunmehr anzuwendende Vervielfältiger ist weiterhin dem Teil B derselben Vervielfältigertabelle zu entnehmen, bei seiner Bestimmung ist lediglich von einem um 20 Jahre jüngeren Baujahr (fiktiven Baujahr) des Gebäudes (1910 + 20 Jahre) = 1930 auszugehen. Die Jahresrohmiete des Grundstücks ist also mit 7,0 zu vervielfachen."
Rz. 32
Eine wesentliche Verkürzung der Lebensdauer eines Gebäudes infolge nicht behebbarer Baumängel oder Bauschäden ist gegeben, wenn der Mangel oder Schaden durch Ausbesserung auf die Dauer nicht beseitigt werden kann. Als Beispiele solcher Mängel bzw. Schäden sind Gründungsmängel, Kriegsschäden, Bergschäden zu nennen (Abschn. 27 Abs. 3 BewRGr). Nach der Begründung zum ÄndG-BewG war für diese Regelung der Gedanke maßgebend, dass – wirtschaftlich gesehen – beispielsweise ein Neubau mit erheblichen nicht behebbaren Baumängeln oder Bauschäden hinsichtlich der Bewirtschaftungskosten einem Altbau gleichzusetzen ist. Bei einer Verkürzung der Lebensdauer eines Gebäudes bleibt – wie bei einer Verlängerung der Lebensdauer – die nach Bauart und Bauausführung des Gebäudes in Betracht kommende Vervielfältigertabelle weiterhin maßgebend. Es ist lediglich von dem durch die Verkürzung der Lebensdauer in Betracht kommenden fiktiven Baujahr auszugehen.
Beispiel 3
"Das Gebäude eines Mietwohngrundstücks in einer Gemeinde mit über 500 000 Einwohnern ist im Jahre 1925 errichtet worden. Es handelt sich um einen Massivbau. Der Vervielfältiger wäre demnach 7,5 (Teil A der Anlage 3 des Gesetzes, Teil A der Anlage 8 der Richtlinien). Infolge nicht behebbarer Bergschäden ist die restliche Lebensdauer um 20 Jahre verkürzt. Als zugrunde zu legendes fiktives Baujahr ergibt sich (1925 – 20) = 1905. Die Jahresrohmiete des Grundstücks ist also mit 5,8 zu vervielfachen."
Rz. 33
Muss ein Gebäude vorzeitig abgebrochen werden, ist es nicht möglich, ein Baujahr zugrunde zu legen, das der Verkürzung der Lebensdauer entspricht. Dies ist wegen der auf die Baujahrgruppen abgestellten Bewirtschaftungskosten ausgeschlossen. Denn die Vervielfältiger, die sich aus der verkürzten Lebensdauer ergeben, entsprechen hinsichtlich der in ihnen berücksichtigten Bewirtschaftungskosten nicht dem tatsächlichen Zustand der Gebäude. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob der vorzeitige Abbruch aufgrund vertraglicher Vereinbarung oder ausanderen Gründen erfolgt. Deshalb ist in den Fällen des vor...