Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
Rz. 57
Besonderheiten ergeben sich, wenn eine wirtschaftliche Einheit mit mehreren Gebäuden oder Gebäudeteilen be-baut ist, die jeweils eine gewisse Selbstständigkeit aufweisen oder die in verschiedenen Jahren bezugsfertig geworden sind. In diesen Fällen können sich unterschiedliche Restnutzungsdauern ergeben. Bei der Bedarfsbewertung für Zwecke der Erbschaft-/Schenkungsteuer nach dem Sechsten Abschnitt des Zweiten Teils des Bewertungsgesetzes ist für derartige Fälle nach R B 185.4 Abs. 3 ErbStR die Ermittlung einer sog. gewogenen oder gewichteten Restnutzungsdauer vorgesehen.
Rz. 58
Auch bei der Ermittlung des Grundsteuerwerts ist es erforderlich, bei einer wirtschaftlichen Einheit, die aus mehreren Gebäuden oder Gebäudeteilen mit einer gewissen baulichen Selbständigkeit besteht, eine gewogene Restnutzungsdauer zu bestimmen. Dagegen hat die bei der Bedarfsbewertung für Zwecke der Erbschaft-/Schenkungsteuer zusätzlich vorgesehene gewichtete Restnutzungsdauer bei der Ermittlung des Grundsteuerwerts keine Bedeutung. Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass bei Wohngebäuden die Listenmieten für die jeweiligen Gebäude nach der gesetzlichen Vorgabe vorliegen, sodass nicht allein auf die Wohn-/Nutzflächenanteile der Gebäude ausgewichen werden muss.
Rz. 59
Bei Wohngrundstücken gilt für alle Gebäude und Gebäudeteile – unabhängig von ihrer Nutzung – eine Gesamtnutzungsdauer von 80 Jahren. Dies gilt auch für Garagen und Nebengebäude. Liegen keine anderweitigen Erkenntnisse vor, bestehen keine Bedenken, bei Garagen und Nebengebäuden die Bezugsfertigkeit im Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit des Hauptgebäudes zu unterstellen.
Beispiel
Von einem Mietwohngrundstück mit einer Wohn- und Nutzfläche von insgesamt 1.600 m[2] dienen 1.400 m[2] Wohnzwecken, und ein Gebäudeteil mit 200 m[2] Nutzfläche wird als Büroeinheit genutzt.
Die wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer beträgt für Mietwohngrundstücke nach Anlage 38 zum BewG 80 Jahre. Ein gesonderter Ansatz der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer für den Gebäudeteil Büroeinheit von 200 m[2] (z.B. 60 Jahre für Bürogebäude) ist ausgeschlossen.
Rz. 60
Die Ermittlung der gewogenen Restnutzungsdauer unter Berücksichtigung der jeweiligen Roherträge bei einer wirtschaftlichen Einheit mit mehreren selbstständigen Gebäuden oder Gebäudeteilen, die eine unterschiedliche Restnutzungsdauer haben, ergibt sich aus dem folgenden Beispiel.
Beispiel
Ein Mietwohngrundstück besteht aus zwei Gebäuden mit je vier Wohnungen.
Gebäude 1
Roherträge aller Wohnungen |
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32.000 EUR |
Baujahr |
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1980 |
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Jahr des Hauptfeststellungszeitpunkts |
2022 |
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Abzgl. Baujahr |
1980 |
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Alter in Jahren |
42 |
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Wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer lt. Anl. 38 zum BewG |
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80 Jahre |
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Alter |
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42 Jahre |
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Restnutzungsdauer |
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38 Jahre |
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Rohertrag des Gebäudes 1 bezogen auf die Restnutzungsdauer: |
32.000 EUR × 38 Jahre = |
1.216.000 EUR |
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Gebäude 2
Roherträge aller Wohnungen |
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40.000 EUR |
Baujahr |
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2010 |
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Jahr des Hauptfeststellungszeitpunkts |
2022 |
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Abzgl. Baujahr |
2010 |
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Alter in Jahren |
12 |
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Wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer lt. Anl. 38 zum BewG |
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80 Jahre |
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Alter |
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12 Jahre |
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Restnutzungsdauer |
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68 Jahre |
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Rohertrag des Gebäudes 2 bezogen auf die Restnutzungsdauer: |
40.000 EUR × 68 Jahre = |
2.720.000 EUR |
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Roherträge insgesamt |
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72.000 EUR |
Die Summe der anzusetzenden Erträge für das Mietwohngrundstück beträgt somit
1.216.000 EUR + 2.720.000 EUR = 3.936.000 EUR
Die gewogene Restnutzungsdauer ergibt sich, indem man die Summe der anzusetzenden Erträge durch die Summe der jährlichen Erträge dividiert:
3.936.000 EUR / 72.000 EUR = 54,66 Jahre
Die gewogene Restnutzungsdauer wird auf volle Jahre gerundet und beträgt somit 55 Jahre.
Rz. 61
Die Berechnung der gewogenen Restnutzungsdauer kann mit der folgenden Formel erfolgen:
Dabei bedeuten:
RND = Restnutzungsdauer
RoG = Rohertrag des Gebäudes/Gebäudeteils
n = Anzahl der Gebäude/Gebäudeteile
Für das vorstehende Beispiel ergibt sich damit folgende Berechnung:
Rz. 62
Sofern einem Gebäude zu einem späteren Zeitpunkt ein Anbau hinzugefügt wird, teilt der Anbau aufgrund der Bauart oder der Nutzung das Schicksal des Hauptgebäudes. Damit gilt auch für den Anbau das Ursprungsbaujahr des Hauptgebäudes. Das bedeutet, dass beispielsweise eine nachträglich an ein Einfamilienhaus angebaute Garage wirtschaftlich keine längere Lebensdauer als das Einfamilienhaus hat. Das gilt erst recht für einen Wintergarten oder einen vergleichbaren Erweiterungsanbau. Denn bei einem wirtschaftlichen Verbrauch der Hauptsache, also des Einfamilienhauses, endet auch die Nutzungsmöglichkeit für die Anbauten.
Rz. 63
Allerdings ist auch denkbar, dass ein Anbau als Erweiterungsbau nach Größe, Bauart oder Nutzung eine andere Restnutzungsdauer als das Hauptgebäude haben wird. In diesen Fällen dürfte es sachgerecht sein, eine gewogene Restnutzungsdauer aus dem bisherigen Hauptgebäude und dem hinzugefügten Erweiterungsbau zu bilden.
Rz. 64