I. Rechtsentwicklung, Inhalt und Bedeutung der Vorschrift

 

Rz. 1

[Autor/Stand] Die Vorschrift des § 77 Satz 1 BewG entspricht in vollem Umfang dem § 52 Abs. 2 BewG 1934 (auch § 40 BewDV 1935). Hiernach muss für bebaute Grundstücke als Einheitswert mindestens der Wert angesetzt werden, mit dem der Wert des Grund und Bodens allein als unbebautes Grundstück zu bewerten wäre. Eine entsprechende Regelung enthielten bereits § 36 Abs. 2 RBewG 1925 und § 56 Abs. 2 RBewG 1931.

 

Rz. 2

[Autor/Stand] Für die Hauptfeststellung auf den 1.1.1964 gilt wegen der seinerzeitigen besonderen Verhältnisse auf dem Grundstücksmarkt und der Auswirkungen der Mietpreisbindung die Ausnahmeregelung in Art. 7 StÄndG v. 18.8.1969[3]. Danach darf der für ein bebautes Grundstück anzusetzende Wert nicht geringer sein als 50 % des Werts, mit dem der Grund und Boden allein als unbebautes Grundstück zu bewerten wäre (s. Anm. 11 f.).

 

Rz. 3

[Autor/Stand] Die Mindestwertregelung des § 77 BewG entspricht den Gepflogenheiten des Grundstücksverkehrs, nach denen der Käufer eines bebauten Grundstücks idR mindestens denjenigen Preis zahlen wird, der dem Verkehrswert[5] des unbebauten Grund und Bodens entspricht. Denn im allgemeinen Grundstücksverkehr werden bebaute Grundstücke regelmäßig nicht unter ihrem Bodenwert veräußert. Das gilt selbst dann, wenn der Reinertrag des Grundstücks hinter der angemessenen Verzinsung des bloßen Bodenwerts zurückbleibt.[6]

 

Rz. 4

[Autor/Stand] Der nach § 77 BewG geltende Vorrang des Mindestwerts soll verhindern, dass die in § 76 BewG für die Bewertung bebauter Grundstücke vorgeschriebenen Bewertungsverfahren im Einzelfall zu einem zu niedrigen Grundstückswert führen. Hauptanwendungsbereich des § 77 BewG sind Grundstücke, deren Werte im Ertragswertverfahren zu ermitteln sind (s. Anm. zu § 76 BewG). Denn beim Ertragswertverfahren ergibt sich der Grundstückswert, indem ein Vervielfältiger mit der Jahresrohmiete multipliziert wird, vgl. § 78 BewG. Die Vervielfältiger sind – anders als bei der Einheitsbewertung 1935 – nicht aus Verkaufspreisen von Grundstücken abgeleitet worden, sondern über die Grundstücksreinerträge, die marktüblichen Zinssätze und Abschreibungssätze sowie unter Berücksichtigung des auf den Grund und Boden entfallenden Ertragsanteils (Bodenertragsanteils) und des auf das Gebäude entfallenden Ertragsanteils (Gebäudeertragsanteils) nach den Grundsätzen der Rentenrechnung ermittelt worden (im Einzelnen s. § 78 BewG Anm. 7 und Anm. 11–24). Bei dieser Ermittlung der Vervielfältiger wurde zur Vereinfachung des Ertragswertverfahrens von einer gesonderten Ermittlung des Bodenwerts und damit des Bodenertragsanteils für jeden einzelnen Bewertungsfall abgesehen. Vielmehr sind die durchschnittlichen Verhältnisse des Bodenertrags zum Gesamtertrag, die sich bei einer Aufgliederung der Grundstücke nach Grundstücksarten, Bauarten und Bauausführung, Baujahrgruppen und Gemeindegrößenklassen üblicherweise ergeben, ermittelt worden. Sie betragen zwischen 5 bis 20 % der Jahresrohmiete. In dieser Höhe sind die Bodenertragsanteile in die Vervielfältiger eingearbeitet worden (im Einzelnen s. § 78 BewG Anm. 22–24). Aufgrund der Pauschalierung können der tatsächliche Bodenwert und damit der Anteil des Bodenwerts an der Jahresrohmiete im konkreten Einzelfall von den bei Bildung der Vervielfältiger unterstellten Bodenertragsanteilen abweichen. Daher ist nicht auszuschließen, dass der Verkehrswert des Grund und Bodens vielfach nicht durch die Bewertung nach dem Ertragswertverfahren abgebildet wird. Allerdings wird dies im Interesse der Vereinfachung der Bewertung für den Regelfall in Kauf genommen. Die Pauschalierung des Bodenwerts muss jedoch da ihre Grenze finden, wo der Wert des Grund und Bodens nach den Grundsätzen der Bewertung unbebauter Grundstücke bereits höher ist als der nach dem Ertragswertverfahren ermittelte Grundstückswert insgesamt. In diesem Fall ist nach § 77 BewG der Mindestwert anzusetzen. Somit ist als Einheitswert des bebauten Grundstücks der Wert des Grund und Bodens festzustellen, der sich für ein unbebautes Grundstück ergibt. Bei den Grundstücken, die nach dem Ertragswertverfahren zu bewerten sind, liegen die Voraussetzungen für eine Mindestbewertung insbesondere dann vor, wenn der Grund und Boden wertvoll ist und dies in der Jahresrohmiete nicht zum Ausdruck kommt. Davon können insbesondere Grundstücke betroffen sein, die im Zentrum von Städten oder in Ortsteilen liegen, in denen sich der Bodenwert durch die wirtschaftliche Entwicklung, wie beispielsweise die Verkehrsplanung, erheblich geändert hat und die Grundstückserträge mit diesen Änderungen nicht Schritt gehalten haben.

 

Rz. 5

[Autor/Stand] Bei der Wertermittlung nach dem Sachwertverfahren kommt der Ansatz des Mindestwerts seltener in Betracht, weil hierbei sowohl der Wert des Grund und Bodens als auch der Wert des Gebäudes explizit angesetzt wird. Gleichwohl ist auch bei Bewertungen im Sachwertverfahren die Mindestbewertung nicht ausgeschlossen. Denn die Wertzahl wird auch auf den Wert des Grund und Bodens angewandt; § 9...

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