Leitsatz
1. Die Bindungswirkung des Beschlusses des BVerfG vom 11.11.1998, 2 BvL 10/95 (BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999, 502) erstreckt sich nach § 31 Abs. 1 BVerfGG auch auf die einem Landesbeamten für seine Tätigkeit im Beitrittsgebiet im Jahr 1991 gewährte Aufwandsentschädigung.
2. Die einem Beamten für seine Tätigkeit im Beitrittsgebiet gewährte Aufwandsentschädigung ist nicht vorab auf die durch die Abordnung in das Beitrittsgebiet verursachten Werbungskosten anzurechnen.
3. § 3c EStG findet auch dann Anwendung, wenn das BVerfG eine Regelung über die Steuerbefreiung von Einnahmen für mit dem GG unvereinbar erklärt, jedoch anordnet, dass die betreffenden Einnahmen aus Gründen des Vertrauensschutzes steuerfrei zu belassen sind.
4. Erhält der Beamte für seine Tätigkeit im Beitrittsgebiet eine steuerfreie Aufwandsentschädigung, sind seine Werbungskosten zu dem Teil nicht abziehbar, der dem Verhältnis der steuerfrei gewährten Aufwandsentschädigung zu den im Zeitraum der Tätigkeit im Beitrittsgebiet erzielten Gesamteinnahmen entspricht.
Normenkette
§ 3 Nr. 12 Satz 1 EStG , § 3c, § 9 EStG , § 31 BVerfGG
Sachverhalt
Der Kläger, ein Beamter der baden-württembergischen Steuerverwaltung, war im ganzen Jahr 1991 an eine Finanzbehörde im Beitrittsgebiet abgeordnet. Neben seiner Besoldung bezog er eine als steuerfrei behandelte Aufwandsentschädigung. Durch die Tätigkeit im Beitrittsgebiet entstanden ihm Aufwendungen (für Dienstantritt, Heimfahrten, Verpflegung usw.) in Höhe von ca. 28 000 DM. Der Dienstherr erstattete hierfür ca. 19 000 DM. Den Restbetrag in Höhe von ca. 9 000 DM machte der Kläger als Werbungskosten geltend.
Das FA gewährte nur den Arbeitnehmer-Pauschbetrag in Höhe von 2 000 DM. Das FG gab der Klage statt. Aus der Entscheidung des BVerfG ergebe sich, dass neben der steuerfrei gewährten Aufwandsentschädigung sämtliche auf die Tätigkeit im Beitrittsgebiet entfallenden Werbungskosten uneingeschränkt und ungekürzt zusätzlich abziehbar seien.
Entscheidung
Die Revision des FA war begründet; sie führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung. Entgegen der Auffassung des FG seien die Werbungskosten des Klägers nicht ungekürzt zu berücksichtigen. Die Werbungskosten des Klägers seien im Verhältnis der steuerfreien Einnahmen aus der Aufwandsentschädigung zu den Gesamteinnahmen aufzuteilen.
Die Sache wurde an das FG zurückverwiesen, da dieses keine Feststellungen zur Höhe der steuerpflichtigen Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit getroffen hatte.
Hinweis
1. Rückblick: Das BVerfG hatte im o.a. Beschluss in BStBl II 1999, 502 die Vorschrift des § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG in seiner Anwendung auf die an Bundesbeamte für ihre Tätigkeit im Beitrittsgebiet gewährte Aufwandsentschädigung mit Art. 3 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt. Zugleich hat es jedoch entschieden, dass aus Gründen des Vertrauensschutzes eine rückwirkende Nichtanwendung der Steuerbefreiungsvorschrift ausgeschlossen sei.
2. Ob, und wenn ja, welche Folgerungen sich aus der fortgeltenden Anwendung der Vorschrift des § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG ergeben, wurde insbesondere mit der vorstehenden Grundsatzentscheidung beantwortet.
3. Da eine an einen Landesbeamten gezahlte Aufwandsentschädigung zu beurteilen war, musste sich der BFH zunächst darüber klar werden, wie weit die Bindungswirkung der Entscheidung des BVerfG reichte. Die Bindungswirkung konnte sich nicht aus § 31 Abs. 2 BVerfGG ergeben. Danach kommt einer Entscheidung des BVerfG über die Vereinbarkeit einer Norm mit dem Grundgesetz Gesetzeskraft zu. Diese erstreckt sich aber nur auf die Entscheidungsformel bzw. den Tenor. Letzterer bezog sich im Beschluss in BStBl II 1999, 502 aber nur auf § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG in seiner Anwendung auf die an Bundesbeamte gezahlte Aufwandsentschädigungen.
Eine Bindungswirkung ergab sich – für die gleich gelagerte landesrechtliche Aufwandsentschädigung als Folge- oder Parallelfall – aber aus § 31 Abs. 1 BVerfGG. Danach sind die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden an die Entscheidungen des BVerfG gebunden. Diese Bindungswirkung umfasst auch die tragenden Gründe einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung. Demnach waren die Grundsätze der Entscheidung des BVerfG auch im Streitfall anzuwenden.
Der BFH bekräftigte seine bisherige Rechtsprechung dahingehend, dass die Vorschrift des § 3c EStG der Vermeidung einer doppelten Begünstigung von Steuerpflichtigen dient, und zwar durch die steuerliche Freistellung von Bezügen einerseits und den Abzug von Werbungskosten andererseits. Ein finaler Zusammenhang zwischen den Ausgaben und den Einnahmen ist für die Anwendung des § 3c EStG nicht erforderlich. Ausreichend ist die Feststellung einer erkennbaren und abgrenzbaren Beziehung, die im Einzelfall zu prüfen ist.
4. Keine Bindungswirkung hat der BFH aber für die Ausführungen angenommen, soweit das BVerfG ausgeführt hatte, die Bezieher der Aufwandsentschädigungen könnten einen mit der Tätigkeit im Beitrittsgebiet in Zusammenhang stehenden E...