Leitsatz
1. Ästhetische Operationen und ästhetische Behandlungen sind nur dann als Heilbehandlung steuerfrei, wenn sie dazu dienen, Personen zu behandeln oder zu heilen, bei denen aufgrund einer Krankheit, Verletzung oder eines angeborenen körperlichen Mangels ein Eingriff ästhetischer Natur erforderlich ist.
2. Zum Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient ist es bei Überprüfung der Umsatzsteuerfreiheit von Heilbehandlungsleistungen erforderlich, das für richterliche Überzeugungsbildung gebotene Regelbeweismaß auf eine "größtmögliche Wahrscheinlichkeit" zu verringern.
Normenkette
§ 4 Nr. 14 UStG, § 76 FGO
Sachverhalt
Die Klägerin führte im Streitjahr 2003 kosmetische Eingriffe und Operationen durch. Das FA ging davon aus, dass die Klägerin steuerpflichtige Leistungen erbracht habe. Gegen den Umsatzsteuerbescheid 2003 legte die Klägerin Einspruch ein, der im Hauptpunkt keinen Erfolg hatte. Der Klage gab das FG (Niedersächsisches FG, Urteil vom 2.2.2011, 16 K 10148/07, Haufe-Index 3589185) teilweise statt. Es ging auf der Grundlage eines gerichtlich bestellten Sachverständigen davon aus, dass von den insgesamt 129 Behandlungsfällen 45 ästhetisch indiziert veranlasst gewesen seien, im Übrigen aber physisch-medizinische oder psycho-medizinische Indikationen gegeben seien.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz. Das FG habe in Übereinstimmung mit der finanzgerichtlichen Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben. Unter Berücksichtigung des auch im FG-Verfahren zu schützenden Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient komme es nicht in Betracht, für die Beweiserhebung durch Sachverständige eine eigene Untersuchung und Befunderhebung durch den Gutachter zu verlangen. Das FG konnte sich vielmehr mit einem Gutachten auf der Grundlage anonymisierter Patientenunterlagen zufriedengeben.
Hinweis
1. Nach § 4 Nr. 14 UStG a.F. waren steuerfrei die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Die Verweisung auf § 18 EStG entfiel bereits durch Art. 5 Nr. 4 Buchst. c Doppelbuchst. aa und Art. 25 Abs. 1 StÄndG 2003 vom 15.12.2003 (BGBl I 2003, 2645) mit Wirkung zum 20.12.2003. § 4 Nr. 14 UStG wurde darüber hinaus durch das JStG 2009 neu gefasst (vgl. Art. 7 Nr. 4 Buchst. b des Gesetzes vom 19.12.2008, BGBl I 2008, 2794).
2. Der BFH hat bereits in der Vergangenheit § 4 Nr. 14 UStG trotz des früheren Verweises auf § 18 EStGentsprechend den damaligen unionsrechtlichen Vorgaben in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie (heute: Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL) ausgelegt. Er hält hieran weiter auch für die Besteuerungszeiträume fest, in denen § 4 Nr. 14 UStG noch auf § 18 EStG verwies. Die richtlinienkonforme Auslegung von § 4 Nr. 14 UStG überschreite trotz der Verweisung auf § 18 EStG nicht die bei der Auslegung zu beachtende Wortlautgrenze. Bei einer Regelung, bei der es sich um ausgelaufenes Recht handele, spreche gegen eine geänderte Beurteilung im Rahmen einer Rechtsprechungsänderung auch das Erfordernis der Rechtssicherheit.
3. Für den Bereich der sog. Schönheitsoperationen geht der EuGH davon aus, dass "ästhetische Operationen und ästhetische Behandlungen … unter den Begriff "ärztliche Heilbehandlungen" oder "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" [fallen] …, wenn diese Leistungen dazu dienen, Krankheiten oder Gesundheitsstörungen zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu heilen oder die Gesundheit zu schützen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen" (EuGH, Urteil vom 21.3.2013, C 91/12, PFC Clinic, UR 2013, 335, Haufe-Index 3655149; vgl. auch BFH, Urteil vom 4.12.2014, V R 16/12, in diesem Heft).
4. Ob eine Leistung aufgrund einer therapeutischen Zwecksetzung als Heilbehandlung steuerfrei ist, muss im Streitfall finanzgerichtlich nachgewiesen werden (vgl. hierzu BFH, Urteil vom 4.12.2014, V R 16/12 in diesem Heft).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 4.12.2014 – V R 33/12