Leitsatz
1. Die Leistungen eines Dirigenten, dem die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass er die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllt wie z.B. ein Orchester oder Kammermusikensemble, sind nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG steuerfrei (Änderung der Rechtsprechung, BFH-Urteil vom 18.02.2010 – V R 28/08, BFHE 228, 474, BStBl II 2010, 876).
2. Der Dirigent, dessen Leistungen nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG steuerfrei sind, kann die Vorsteuerbeträge auf im Inland erbrachte Vermittlungsleistungen ausländischer Konzertagenturen auch dann nicht nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG abziehen, wenn er sie für Leistungen bezieht, die er im Ausland erbringt und die dort steuerbar und steuerpflichtig sind.
Normenkette
§ 4 Nr. 20 Buchst. a, § 3a Abs. 2, § 13b Abs. 1 und 2, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG, Art. 20 EUGrdRCH, Art. 4 EU-Vertrag, Art. 132 Abs. 1 Buchst. n, Art. 169 Satz 1 Buchst. a EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), § 171 Abs. 10, § 182 AO
Sachverhalt
Der Kläger war im Streitjahr 2011 als Dirigent selbstständig tätig. Er übte seine Tätigkeit in Konzert-, Opern- und Theaterhäusern im In- und Ausland aus. Er verfügte über eine nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG erteilte Bescheinigung. Für die Vermittlung von Engagements in Spanien, Italien und in den Niederlanden stellten zwei im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässige Künstleragenturen dem Kläger im Streitjahr Provisionen in Rechnung, die auch im Streitjahr bezahlt wurden. Das FA war der Auffassung, dass die Agenturen als im Ausland ansässige Unternehmer Vermittlungsleistungen an den Kläger erbracht hätten, die nach § 3a Abs. 2 UStG im Inland steuerbar seien. Die entsprechenden Umsatzsteuerbeträge schulde der Kläger als Leistungsempfänger nach § 13b Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 5 UStG. Die Beträge könnten aber nicht gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG als Vorsteuer abgezogen werden, weil sie zur Verwendung für Leistungen im Ausland bezogen worden seien, die im Inland steuerfrei wären (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG). Einspruch und Klage zum FG (Sächsisches FG, Urteil vom 15.3.2017, 2 K 1510/16, Haufe-Index 10873175, EFG 2017, 1220) hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
Der BFH bestätigt die Klageabweisung durch das FG, konnte dieses Ergebnis aber nur mit einer Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung begründen.
Hinweis
1. Die Steuerfreiheit für kulturelle Leistungen nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG bereitet immer wieder Schwierigkeiten. Unionsrechtliche Grundlage für diese Steuerfreiheit ist Art. 132 Abs. 1 Buchst. n MwStSystRL (zuvor: Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. n der Richtlinie 77/388/EWG).
a) Der Befreiungstatbestand des nationalen Rechts beschränkt sich im musikalischen Bereich auf Orchester, Kammermusikensembles und Chöre, und erfasst somit nach seinem Wortlaut nicht auch Einzelkünstler.
b) Der BFH hatte hierzu zuletzt entschieden, dass sich ein Orchestermusiker als Unternehmer für seine Leistungen gegenüber dem Orchester, in dem er tätig ist, auf eine Steuerfreiheit nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. n der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann (BFH, Urteil vom 18.2.2010, V R 28/08, BFH/NV 2010, 1206, BStBl II 2010, 876).
c) Nachdem der EuGH in der Folgezeit entschieden hatte, dass sich Steuerpflichtige im Hinblick auf das den Mitgliedstaaten zustehende Regelungsermessen nicht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. n MwStSystRL (zuvor: Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. n der Richtlinie 77/388/EWG)berufen können (EuGH, Urteil vom 15.2.2017, C-592/15, British Film Institute, EU:C:2017:117, BFH/NV 2017, 558), war fraglich, ob die von Einzelkünstlern erbrachten Leistungen weiterhin steuerfrei sein können.
2. In Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung geht der BFH jetzt davon aus, dass die von Einzelkünstlern erbrachten Leistungen nicht erst aufgrund einer Berufung auf das Unionsrecht, sondern bereits aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts steuerfrei sind.
a) § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 1 UStG befreit im Musikbereich die Umsätze der Orchester, Kammermusikensembles und Chöre, wenn es sich um Einrichtungen des Bundes, der Länder, der Gemeinden oder der Gemeindeverbände handelt. § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG erweitert dies auf Umsätze gleichartiger Einrichtungen anderer Unternehmer, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in Satz 1 bezeichneten Einrichtungen erfüllen.
b) Hierzu geht der BFH nunmehr davon aus, dass ein Dirigent mit dem von ihm geleiteten Orchester gleichartig ist, sodass auch seine Leistung steuerfrei ist, wenn er über die nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG erforderliche Bescheinigung verfügt.
3. Die geänderte Rechtsprechung hat Auswirkungen in mehrfacher Hinsicht.
a) Zum einen behandelt der BFH den – selbstständig tätigen – Dirigenten eines Orchesters wie die – selbstständig tätigen – Einzelmusiker des Orchesters. Damit werden die im Orchester zusammenwirkenden Personen gleichbehandelt. Insoweit erweitert der BFH seine bisherige Rechtsprechung zu Einzelmusikern im...