Leitsatz
1. Zum Nachweis der bei richtlinienkonformer Auslegung von § 4 Nr. 14 UStG erforderlichen Berufsqualifikation aus einer "regelmäßigen" Kostentragung durch Sozialversicherungsträger genügt es nicht, dass lediglich einzelne gesetzliche Krankenkassen in ihrer Satzung eine Kostentragung für Leistungen der Heileurythmie vorsehen (Fortführung des BFH, Urteil vom 11.11.2004, V R 34/02, Haufe-Index 1316977, BFHE 208, 65, BStBl II 2005, 316).
2. Der Befähigungsnachweis kann sich auch aus dem Abschluss eines Integrierten Versorgungsvertrags nach §§ 140a ff. SGB V zwischen dem Berufsverband des Leistungserbringers und den gesetzlichen Krankenkassen ergeben. Dies setzt voraus, dass der Leistungserbringer Mitglied des Berufsverbands ist, der Integrierte Versorgungsvertrag Qualifikationsanforderungen für die Leistungserbringer aufstellt und der Leistungserbringer diese Anforderungen auch erfüllt.
Normenkette
§ 4 Nr. 14 UStG 1999/2005, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c 6. EG-RL, §§ 140a ff. SGB V
Sachverhalt
Der Kläger erbrachte auf der Grundlage eines Diploms der Schule für Eurythmische Heilkunst heileurythmische Leistungen. Einzelne Kassen hatten in den Streitjahren Heileurythmie als Satzungsleistung in ihren Leistungskatalog aufgenommen. Ab 2006 galten Verträge zur Durchführung Integrierter Versorgung nach §§ 140a ff. SGB V über die Versorgung mit Anthroposophischer Medizin, wonach nicht-ärztliche, durch den Berufsverband anerkannte Therapeuten zur Erbringung von Leistungen nach diesem Vertrag ab dem Zeitpunkt der Erteilung der Teilnahmeberechtigung des Berufsverbandes berechtigt sind.
Die Klage gegen die Versagung der Steuerbefreiung durch das FA hatte nur hinsichtlich 2006 Erfolg.
Entscheidung
Der BFH bestätigte auf die Revision von FA und Kläger die Entscheidung des FG (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.6.2009, 12 K 179/06, 12 K 855/09, 12 K 2055/09, Haufe-Index 2204671, EFG 2009, 1877). Lediglich der Zeitpunkt der Erteilung der Teilnahmeberechtigung war nicht festgestellt. Deshalb kam es für 2006 zur Zurückverweisung an das FG. Die wesentlichen Gründe ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen.
Hinweis
1.§ 4 Nr. 14 UStG erfordert das Vorliegen einer Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin und die dafür erforderliche berufliche Qualifikation. Der Nachweis der Qualifikation anderer als der Katalogberufe kann sich aus einer berufsrechtlichen Regelung ergeben. Diplome privater Ausbildungsinstitute reichen nicht. Ausreichend kann die "regelmäßige" Kostentragung durch Sozialversicherungsträger sein, wenn sie den Charakter eines Befähigungsnachweises hat. Indiz für das Vorliegen der entsprechenden Qualifikation kann sein z.B. die Aufnahme der betreffenden Leistungen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen nach § 92 SGB V, Beziehungen der Krankenkassen zum betreffenden Leistungserbringer nach den §§ 69ff. SGB V, der Abschluss eines Versorgungsvertrags (vgl. § 11 Abs. 2, § 40, § 111 SGB V) oder die Zulassung des Unternehmers oder seiner Berufsgruppe nach § 124 SGB V sowie die Kostentragung nach § 43 SGB V in Verbindung mit einer "Gesamtvereinbarung". Charakteristisch ist insoweit das Bestehen von Vereinbarungen mit Sozialversicherungsträgern, die sich als Indiz für die berufliche Qualifikation der betreffenden Art von Fachkräften für die Erbringung der bezeichneten Leistungen eignen. Deshalb gelten die für Versorgungsverträge und Gesamtvereinbarungen einschlägigen Grundsätze auch für Integrierte Versorgungsverträge (§§ 140a ff. SGB V), die Berufsverbände von Leistungserbringern mit gesetzlichen Krankenkassen abschließen, sofern der jeweilige Berufsverband die Teilnahmeberechtigung der Leistungserbringer davon abhängig macht, dass die in den Verträgen enthaltenen Qualifikationsanforderungen erfüllt werden.
2. Bisher nicht eindeutig geklärt war, unter welchen Voraussetzungen die Kostenerstattung als Satzungsleistung einer Krankenkasse (§ 194 Abs. 1 Nr. 3 SGB V) berücksichtigt werden kann. Satzungsleistungen bilden neben den Leistungen nach Maßgabe der Heilmittel-Richtlinien die zweite Kategorie von Kassenleistungen, die ein bei der betreffenden Kasse Versicherter beanspruchen kann. Das BVerfG hatte 1999 entschieden, dass eine Berücksichtigung stattfinden könne, wenn "die Sozialversicherungsträger in der Regel die Leistungen" finanzieren. Die Kostentragung durch Sozialversicherungsträger muss allerdings den Charakter eines Befähigungsnachweises haben. Bei Berücksichtigung des unionsrechtlichen Neutralitätsgrundsatzes reicht es daher nicht aus, dass nur einzelne Kassen eine Kostentragung in ihrer Satzung regeln.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 8.3.2012 – V R 30/09