Unter dem hier verwandten Begriff der offenen Internetseiten und Auskunftsdateien sind solche elektronischen Angebote zu verstehen, bei denen keine Log-in-Verfahren eingesetzt werden, der Zugriff auf die dortigen Inhalte ist vielmehr barrierefrei möglich.
Fraglich ist insoweit, wie sich dieser Umstand auf das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung auswirkt, welches primär als Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat ausgelegt ist; es erfasst neben der Erhebung und Speicherung v.a. auch die Verarbeitung von Daten inklusive ihrer Weitergabe (vgl. R. Schmidt, GrundR, 26. Aufl. 2021 Rz. 270). Danach hat der Bürger und zugleich Steuerpflichtige das Recht, im Rahmen der bestehenden Schranken selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner Daten zu entscheiden.
Allerdings ist es dem Staat unbenommen, solche Daten auf der Grundlage von Informationen und Tatsachen zu verwenden, die jedem anderen Dritten auch zugänglich und durch diesen verwendbar sind; der Staat wird insoweit nicht anders als die privaten Dritten gestellt (vgl. BVerfG v. 10.3.2008 – 1 BvR 2388/03, BVerfGE 120, 351, 361). Insoweit fallen solche Daten nicht unter den Schutzbereich der informationellen Selbstbestimmung, bei denen die Informationen und Kommunikationsinhalte im Internet an jedermann gerichtet oder zumindest an einen nicht weiter bestimmten Personenkreis eingegrenzt sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.6.2016 – 2 BvR 637/09, BVerfGE 142, 234, 251 Rz. 30 m.w.N.). Darunter sind insb. Internetseiten zu verstehen, die jedem Interessierten offenen stehen (vgl. BVerfG v. 27.2.2008 – 1 BvR 595/07, BVerfGE 120, 274, 345); ein geheimer oder in den AGB postulierter Vorbehalt gegen eine Nutzung durch staatliche Stellen kommt insoweit nicht zum Tragen. Den Beamten steht es sogar frei, Internetseiten und Internetchats auch unter einem Pseudonym bzw. Legende aufzusuchen (Zöller, Verdachtslose Recherchen und Ermittlungen im Internet, GA 2000, 563, 569; Burghart in Leibholz/Rinck, Art. 2 GG Rz. 107 [10/2021]).
Beraterhinweis Allerdings ist dieser generelle Ausschluss aus dem Schutzbereich des Grundrechts dann nicht mehr gültig, wenn die so frei gewonnenen Daten durch eine elektronische oder manuelle Verknüpfung mit weiteren Daten zu einem neuen, weiteren oder verdichteteren Aussagegehalt kommen (vgl. BVerfG v. 10.3.2008 – 1 BvR 2388/03, BVerfGE 120, 351, 362).
Verfassungskonforme Auslegung: Das Steuergeheimnis des § 30 AO ist vor diesem Hintergrund verfassungskonform auszulegen und anzuwenden. In Ermangelung der Eröffnung des Schutzbereiches des informellen Selbstbestimmungsrechts unterfallen tatbestandlich zumindest solche Informationen und Tatsachen nicht dem Steuergeheimnis i.S.d. § 30 Abs. 1 AO, bei denen der Finanzbeamte und jeder Dritte die relevanten Daten einsehen kann, ohne dass eine Zugangsbeschränkung bzw. Zugangskontrolle i.S.d. eines Log-in-Verfahren vorhanden ist. Insoweit besteht keine Divergenz zur bisherigen oben eingeführten pauschalen Annahme, dass die Daten, die jedermann sich auch außerhalb eines steuerlichen Verfahrens verschaffen kann, mit der gleichen Gewissheit und im gleichen Umfang jederzeit zur Kenntnis gelangen können. Sind damit die steuerlich relevanten Daten bei einfacher Suche bzw. Recherche frei von Barrieren von einer unbestimmten Personenzahl einsehbar, unterfallen diese Daten mit ihrem jeweiligen Aussagegehalt nicht dem Steuergeheimnis gem. § 30 Abs. 1 AO.
Beispiele:
Frei zugängliche Internetseiten von Ferienwohnungsvermieter zu Wohnung und Vermietungsstand, Internetauftritte von Firmen, Branchenbucheinträge im Internet wie z.B. bei www.hamburg.de
Das FA ist ohne die Beschränkung des § 30 Abs. 1 AO befugt, diese Informationen an andere Behörden weiterzugeben, bzw. einen Hinweis auf die dort aufgefundenen Erkenntnisse zu geben; der Schutzbereich des Steuergeheimnisses aus § 30 Abs. 1 AO ist nicht eröffnet.
Datenweitergabe: Bei der Weitergabe der Daten ist allerdings verfassungskonform darauf zu achten, dass ausschließlich die frei zugänglichen Informationen und Tatsachen weitergeleitet werden dürfen, wohingegen die z.B. während einer Außenprüfung zusätzlich erworbenen Kenntnisse und Informationen dem Steuergeheimnis unterfallen; sie dürfen nicht mit den frei zugänglichen Daten verknüpft werden. Ergeben sich aus diesen öffentlich zugänglichen Sachverhalten bereits inkriminierte Sachverhalte, können sie weitergeleitet werden, ohne dass auf die weiteren Erkenntnisse Bezug genommen wird. Beim Steuergeheimnis ist mithin im Schutzbereich nach der freien Verfügbarkeit der Informationen und ermittelten Tatsachen zu differenzieren.
Beispiel:
Ein Unternehmer legt auf seiner Homepage offen, verschreibungspflichtige Medikamente ein- und zu verkaufen, ohne aber die notwendige Lizenz dafür zu haben. Diese Information des Handelns mit verschreibungspflichtigen Medikamenten als potentiellen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz kann offengelegt werden. Die Informationen aus der geprüften Buchhaltung zur konkreten Menge der Produkte unter...