1. Vorgaben rechtsmethodischer Auslegung
Die systematische Auslegung einer Rechtsvorschrift orientiert sich an seinem Wortlaut, der historischen Intention des Gesetzgebers, der Gesetzessystematik sowie der Teleologie der Norm. Der Normanwender ist an diese gesetzessystematischen Grenzen gebunden, sofern nicht ausnahmsweise eine teleologische Reduktion oder Extension durchzuführen ist.
2. Wortlaut
Nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO gilt, dass die "Offenbarung oder Verwertung geschützter Daten zulässig" ist, "soweit sie der Durchführung eines Verfahrens im Sinne des Absatzes 2 Nr. 1 Buchst. a und b dient". Im Wortlaut ist maßgeblich für die Durchbrechung des Steuergeheimnisses das Merkmal "Dienen" enthalten. Die wörtliche Bedeutung vom Dienen ist die Nützlichkeit einer Sache (vgl. www.Wiktionary.org zum Suchbegriff dienen), das Fördern, ein Zugutekommen oder zur Hilfe kommen (www.openthesaurus.de zum Suchbegriff dienen) oder zweckmäßig sein (www.synonyme.woxikon.de. zum Suchbegriff dienen).
Der Wortsinn des § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO enthält damit nicht nur Durchbrechungen beim Steuergeheimnis für Informationen und Erkenntnisse, die unmittelbar in die Ergebnisfindung des Ermittlungsverfahrens einfließen, sondern vor allem auch für das Ermittlungsverfahren unterstützende, hilfeleistende und zweckmäßige Handlungen.
Solche das Ermittlungsverfahren unterstützende Handlungen bzw. Maßnahmen sind auch solche ermittlungstaktischen Maßnahmen, bei denen das strafprozessuale Verfahren selbst gefördert bzw. unterstützt und damit abgesichert wird. Das offene Ausweisen der Funktion einer staatlichen Institution gegenüber unbeteiligten Dritten ist im konkreten Einzelfall eine solche notwendige begleitende Maßnahme. Teilweise können Ermittlungsmaßnahmen erst durch diese Offenkundigkeit durchsetzt werden.
Beispiel
Bei der Durchsuchung eines asiatischen Restaurants zur Mittagszeit kamen zahlreiche Gäste auf die leitenden Steuerfahnderinnen zu und umringten diese, weil bei den Gästen der Eindruck entstand, dass der Gastronom zu Unrecht behelligt wurde. Diese Situation konnte erst durch ein beherztes Einschreiten der uniformierten Polizei aufgelöst werden.
3. Historische Auslegung
Der Gesetzgeber hat den § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO intensiv diskutiert (vgl. BT-Drucks. 7/4292, 17) und sich nach eingehender Beratung dazu entschieden, das Steuergeheimnis so auszugestalten, dass die bestehenden Ermittlungsmöglichkeiten nicht eingeschränkt werden. Der geltende Rechtsrahmen solle erhalten bleiben.
4. Gesetzessystematik
a) Zusammenwirken von AO und StPO
Sowohl die Steuerfahndung, als auch die Strafsachen- und Bußgeldstelle sind wegen der Einbindung in die Finanzverwaltung keine Uniformträger, weshalb eine Offenbarung allein aufgrund von zusätzlichen Merkmalen erfolgen könnte – z.B. durch beschriftete Warnwesten, Armbinden, Dienstjacken mit Aufdruck und Kennzeichnung auf den schusssicheren Westen
Ob allerdings diese durch den Wortlaut naheliegende Offenbarungsbefugnis tatsächlich rechtlich zulässig ist, ist im Zuge der Gesetzessystematik zu verifizieren. Bei der gesetzessystematischen Auslegung sind nicht nur die beeinflussenden Normen desselben Gesetzes – hier der AO –, sondern auch die weiteren Gesetze zu untersuchen, die einen unmittelbaren oder mittelbaren Einfluss auf die Entscheidungsfindung haben. Dazu müssen sie in einem funktionalen Zusammenhang mit der auszulegenden Norm stehen. Wegen §§ 399, 404 AO ist dies die StPO, da sie für die Strafsachen- und Bußgeldstelle sowie für die Steuerfahndung die Handlungs- und Entscheidungsgrundlage bei der strafrechtlichen Ermittlung ist; die anzuwendenden Eingriffsermächtigungen bei der strafrechtlichen Ermittlung resultieren primär aus der StPO.
b) Strafprozessordnung
aa) Steuerfahndung als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft
Der Gesetzgeber hat mit § 404 S. 1 AO entschieden, dass die Steuerfahndung polizeiliche Befugnisse erhält, um ihren vom Gesetzgeber in § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO gegeben Auftrag der steuerstrafrechtlichen Ermittlung erfüllen zu können. Die Steuerfahndung arbeitet hierbei nicht im luftleeren Raum, sondern ist Teil der Strafverfolgung (vgl. ausf. Wenzel, StBp 2021, 310, 314 f.). Der § 142 GVG sieht grundlegend vor, dass Herrin des Ermittlungsverfahrens die Staatsanwaltschaft ist. Durch § 152 Abs. 1 GVG werden die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft den Weisungen der Staatsanwaltschaft unterstellt. Neben Polizeikräften hat der Gesetzgeber expressis verbis auch die Dienststellen der Steuerfahndung durch § 404 S. 2 Halbs. 2 AO als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft eingesetzt. Durch diesen gesetzgeberischen Willen fand eine klare rechtliche und präzise Einbindung der Steuerfahndung in die strafprozessualen Ermittlungsstrukturen statt, wodurch ihr die umfassende polizeiliche Ermittlungsbefugnis eingeräumt ist (Matthes in Kohlmann, § 404 AO Rz. 13.1 [04/2013]).
Damit kann das Steuergeheimnis nicht isoliert für die Steuerfahndung gesehen werden, sondern es ist zwingend in Relation zu den strafprozessualen Ermittlungsbefugnissen und den daraus resultierenden Obliegenheiten des staatlichen Handelns zu setzen. Das Steuergeheimnis kann nur so weit reichen, wie nicht formales Recht eine Offenbarung von Gesetz...