Durch das Selbstmanagement auf der persönlichen Ebene der Kanzleileitung ist die Basis gelegt, dass auch Werte und Ziele für die Kanzlei als Organisation (weiter-)entwickelt werden können. Für diese wichtigste Führungsaufgabe wird im Folgenden das praxisorientierte Instrumentarium vorgestellt, das Sie für Ihre Kanzlei in der vorgestellten oder abgewandelter Form anwenden können.
Immer wenn mehrere Menschen zusammenarbeiten – sei es in einem zeitlich begrenzten Projektteam, oder dauerhaft in einer Organisation wie einer Kanzlei – gibt es implizite und explizite gemeinsame Ziele und Regeln der Zusammenarbeit. Je bewusster und detaillierter sich über diese geteilten Werte, Regeln und Ziele verständigt wird, umso klarer und expliziter werden sie für jeden Beteiligten. Und umso effektiver können gemeinsame Strategien entwickelt, operative Arbeit gemanagt und durchgeführt werden, wie auch die Potenziale möglichst vieler Mitarbeiter genutzt werden. Denn eins ist klar: Der Führungserfolg auch bei der Leitbildarbeit zeigt sich allein in der Umsetzung, und vor allem dann, wenn diese durch das gesamte Team getragen wird. Bei der Leitbildentwicklung wird systematisch das gesamte Kanzleiteam einbezogen. Es wird so aktiv an der gemeinsamen Kanzleikultur gearbeitet und somit daran, dass die Prozesse im Tagesgeschäft flüssiger ablaufen, die Arbeit höheren Nutzen für die Mandanten stiftet und die Kanzlei rentabler wird.
4.1 Leitbild nach Collins und Porras konzipieren
Lernen von erfolgreichen Unternehmen empfiehlt sich Steuerkanzleien für die eigene Führungsarbeit. Welche Regeln und Angewohnheiten haben die langfristig erfolgreichsten Unternehmen gemeinsam? Dieser Ausgangsfrage gehen Jim Collins und Jerry Porras in ihrer bahnbrechenden Arbeit zum Leitbild nach. Die daraus entstandene praxisorientierte Herangehensweise für die Leitbildentwicklung eignet sich auch für Steuerkanzleien.
Langfristig erfolgreiche Unternehmen schaffen es, Kern-Werte und Kern-Zweck der Organisation auch dann konstant zu halten, wenn veränderte Marktbedingungen neue Geschäftsstrategien erfordern oder Märkte durch externe Faktoren (z. B. Digitalisierung) komplett neuen Regeln unterworfen werden. Die Dynamik, diesen Kern und gleichzeitig eine stimulierende Entwicklung aufrecht zu erhalten, ist es, die langfristig besonders erfolgreiche Unternehmen ausmacht.
Für Steuerkanzleien ist es mit den aktuellen Herausforderungen besonders wichtig, den Unterschied zwischen Dingen, die sich nicht ändern sollten, und dem, was offen für Veränderung sein muss, zu erkennen bzw. zu definieren. Darüber hinaus gilt es, alle Beteiligten (insbesondere das Mitarbeiterteam) dazu mit einem klaren gemeinsamen Verständnis ins Boot zu bekommen. Die regelmäßige Auseinandersetzung mit dem Leitbild der Kanzlei schärft den Blick dafür, und schwört gleichzeitig das gesamte Team auf die gemeinsamen langfristigen Ziele ein. Das Leitbild kann die Grundlage für die Strategieentwicklung der Kanzlei sein, oder alternativ in einem Strategieentwicklungsprozess (der sog. Strategieschleife) bearbeitet werden.
Ein gut konzipiertes Leitbild besteht aus zwei Hauptkomponenten:
- der Kern-Ideologie und
- der Vision.
Leitbild nach Collins & Porras |
Kern-Ideologie (= konstant) |
Kern-Werte (Kleister, der eine Kanzlei über lange Zeit zusammenhält) |
Kern-Zweck (Mission) (Existenzgrund der Kanzlei) |
Vision (forciert Bewegung) |
3 –10 Jahre-GHWZ (großes, haariges, waghalsiges Ziel, nur 50-70 % wahrscheinlich) |
Feurige Beschreibung (emotional aufgeladenes, klares Bild der angestrebten Zukunft im GHWZ) |
Die Kern-Ideologie definiert, wofür die Kanzlei steht und warum sie existiert. Die Kern-Ideologie ist unveränderlich und der Gegenpart zur Vision. Sie definiert den nachhaltigen und andauernden Charakter der Kanzlei. Sie ist eine konsistente Identität, die unabhängig von Dienstleistungs- und Marktzyklen, technologischen Entwicklungen, Management-Moden und Führungspersönlichkeiten konstant bleibt. Für alle Menschen in der Kanzlei bedeutet die Kern-Ideologie die Klarheit darüber, wer man ist und wofür man steht – im Gegensatz dazu, was man erreichen will und wohin man geht. Letzteres kann sich im Zeitverlauf ändern (z. B. durch neue Geschäftsfelder, Märkte und Dienstleistungen), während die Kern-Ideologie eine konstante Identifizierungsbasis aus Prinzipien und Idealen für alle bleibt. Die Kern-Ideologie steht für den Zusammenhalt der Personen in der Organisation Kanzlei: Je stärker dieser Aspekt der Kanzleikultur ausgeprägt ist, umso stärker hält er Personen in der Kanzlei, und umso mehr identifizieren sich alle in der Kanzlei mit dieser.
Die Vision ist, was die Kanzlei erreichen will, in Zukunft werden oder erschaffen möchte. Die Vision steht für etwas, das signifikante Veränderung und Fortschritt erfordert – wie z. B. die aktuellen Herausforderungen des Steuerberatermarkts. Die Vision besteht aus den Elementen "großes, haariges, waghalsiges Ziel (GHWZ)", dessen Erreichen 3 bis 10 Jahre in der Zukunft liegt und seiner emotionalen, "feurigen" Beschreibung. Die Vision muss insp...