aa) Auswirkungen wegen fehlendem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums gem. § 39 AO
Bisherige steuerliche Behandlung im BMF-Schreiben (alt): Das BMF-Schreiben (alt) enthielt keine ausdrückliche Vorgabe hinsichtlich der steuerlichen Behandlung im Fall des fehlenden Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums auf den Aktienübernehmer. Grund dafür war die Prämisse der Finanzverwaltung, dass es bei einer Cum/Cum-Transaktion mit der Einbuchung der Wertpapiere in das Depot des Entleihers bzw. Erwerbers (sachenrechtliches Erfüllungsgeschäft) vor dem Dividendenstichtag ohne weiteres zum Übergang des zivilrechtlichen und grundsätzlich auch des wirtschaftlichen Eigentums kommt (vgl. Rz. 11). Offen blieb zudem, ob es für den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf das Vorliegen einer positiven Vorsteuerrendite angekommen ist. Bei Cum/Cum-Transaktionen war danach lediglich zu prüfen, ob ein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten (Gestaltungsmissbrauch) i.S.d. § 42 Abs. 2 AO vorliegt (vgl. Rz. 12). Die Frage des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums erhält im BMF-Schreiben (alt) lediglich in Zusammenhang mit der Missbrauchsvermeidungsvorschrift eine eingeschränkte Bedeutung. Sofern Kapitalerträge erst nach dem 1.1.2016 zugeflossen sind, sollte laut dem BMF-Schreiben (alt) § 36a EStG zur Anwendung kommen (Rz. 12). Gemäß § 36a Abs. 1 S. 2, 3 EStG i.V.m. § 36a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG ist im Fall des fehlenden Übergangs des Eigentums während der Mindesthaltedauer (45 Tage vor bzw. 45 Tage nach Fälligkeit der Kapitalerträge, § 36a Abs. 2 EStG) der 3/5 der KapESt nicht anrechenbar (§ 36a Abs. 1 S. 2 EStG) bzw. die nicht angerechnete KapESt auf Antrag bei der Ermittlung der Einkünfte abzuziehen (§ 36a Abs. 1 S. 3 EStG).
Steuerliche Behandlung im BMF-Schreiben (neu): Der Empfänger von Aktien in Zusammenhang mit einer Cum/Cum-Transaktion gilt mangels wirtschaftlichen Eigentums nicht als steuerlicher Anteilseigner i.S.d. § 20 Abs. 5 EStG. Er ist daher auch nicht zur Anrechnung oder Erstattung der auf die Dividendenzahlung abgeführten KapESt befugt, d.h. die auf die Dividendenzahlung abgeführte KapESt ist nicht auf die Steuerschuld des Empfängers der Aktien anzurechnen oder an den Empfänger zu erstatten. Sofern bei der Dividendenzahlung kein KapESt-Abzug vorgenommen oder die einbehaltene KapESt erstattet wurde, ist die KapESt nachträglich durch den Übernehmer der Aktien zu zahlen bzw. zu erstatten (vgl. Rz. 18).
Beraterhinweis In der Literatur wird die steuerliche Praxis in Frage gestellt, ob derartige Nachforderungsansprüche auf § 37 Abs. 2 Satz 1 AO gestützt werden können (vgl. Bindl/Haisch, Rückforderungsansprüche bei Cum/Cum-Geschäften – Gleichzeitig ein Beitrag zur Dogmatik des § 37 Abs. 2 AO, DStR 2021, 1520). Nach dieser Vorschrift hat in Fällen, in denen eine Steuer rechtsgrundlos gezahlt worden ist, diejenige Person, auf deren Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, gegenüber dem Leistungsempfänger einen Anspruch auf Rückerstattung der gezahlten Betrages.
bb) Steuerliche Auswirkungen wegen Gestaltungsmissbrauchs gem. § 42 AO
Bisherige steuerliche Behandlung im BMF-Schreiben (alt): Sofern ein Gestaltungsmissbrauch i.S.d. § 42 AO zu bejahen ist, sollte gem. BMF-Schreiben (alt) der Steueranspruch so entstehen, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entstanden wäre. In diesem Zusammenhang war die Finanzverwaltung der Auffassung, dass der steuerinduzierte Anteil der Kapitalertragssteuer (Definitivsteuerbelastung des Steuerausländers, i.d.R. 3/5) beim Steuerinländer nicht zur Anrechnung kommt. Es wurde lediglich dessen steuermindernder Abzug bei der Einkünfteermittlung des Steuerinländers zugelassen. Sofern ein Steuerabzug ursprünglich nicht vorgenommen worden ist bzw. nachträglich eine Erstattung erfolgte, war die KapESt in entsprechender Höhe nachzuzahlen (vgl. Rz. 15).
Steuerliche Behandlung in BMF-Schreiben (neu): Im BMF-Schreiben (neu) wird nunmehr als angemessene rechtliche Gestaltung im Fall einer Cum/Cum-Transaktion dagegen unterstellt, dass ohne missbräuchliche Gestaltung die Dividendeneinkünfte dem Steuerausländer als dem maßgeblichen wirtschaftlichen Eigentümer der Aktien zugerechnet worden wären. Die KapESt wäre in diesem Fall für Rechnung des steuerlichen Anteilseigners, d.h. nicht für Rechnung des Empfängers der Aktien einbehalten worden. Dem Empfänger der Aktien wird daher die Geltendmachung der mit der Gestaltung zusammenhängenden Aufwendungen, insb. aus der Nichtanrechnung bzw. Rückforderung der KapESt, versagt (vgl. Rz. 16).