Leitsatz
* Durch die bloße Aussage des Zustellungsadressaten, er habe sich während der Zeit der angeblichen Zustellung in seiner Wohnung aufgehalten und nicht vernommen, dass ein Zusteller versucht habe, sich bemerkbar zu machen, kann eine gegenteilige Zustellungsurkunde nicht widerlegt werden.
* Leitsatz nicht amtlich
Normenkette
§ 53 Abs. 1 FGO , § 96 Abs. 2 FGO , § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO , § 168 Abs. 1 ZPO , § 176 ZPO , § 178 Abs. 1 ZPO , § 180 ZPO , § 182 ZPO , § 418 ZPO
Sachverhalt
Eine Ladung zur mündlichen Verhandlung war nach der Postzustellungsurkunde in den Briefkasten eingeworfen worden, weil der Kläger in der Wohnung nicht angetroffen worden war. Der Kläger erschien zur mündlichen Verhandlung nicht. Seine Klage wurde abgewiesen.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde machte er die Verletzung seines Gehörsanspruchs geltend. Er sei zu der mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden. Der Postzusteller habe in der angeblichen Zustellungszeit in seiner Wohnung nicht geklingelt und auch keine Ladung in seinem Briefkasten hinterlassen.
Entscheidung
Der BFH hat die Beschwerde zurückgewiesen. Es liege kein Verfahrensfehler vor, weil aufgrund der Postzustellungsurkunde feststehe, dass der Kläger ordnungsgemäß geladen worden sei.
Der Beweis der Unrichtigkeit der Urkunde sei nicht erbracht. Denn selbst wenn die Behauptung des Klägers, er habe sich während des gesamten angeblichen Zustellungsnachmittags in seiner Wohnung aufgehalten und gegen 18 Uhr selbst seinen Hausbriefkasten geleert, ohne darin die Ladung zu finden, als wahr unterstellt werde, sei der erforderliche Beweis nicht erbracht, weil ein Überhören der Türklingel und ein zwischenzeitliches Entfernen des Briefkasteninhalts durch Dritte nicht ausgeschlossen sei.
Zudem sei nicht ersichtlich, weshalb der Kläger meine, noch zwei Monate nach der angeblichen Zustellung, als er nämlich zum ersten Mal von ihr erfahren habe, sich genau an den Ablauf jenes Nachmittags erinnern zu können. Zu einem schlüssigen Vorbringen, welches eine Vernehmung des Klägers erforderlich gemacht hätte, seien hierzu genaue Angaben erforderlich gewesen, insbesondere dazu, worauf sich die angeblich genauen Erinnerungen des Klägers stützen, was er in der Wohnung im Einzelnen getan habe und weshalb er meine, ausschließen zu können, dass ein Dritter seinen Briefkasten geleert habe.
Hinweis
1. Eine Zustellungsurkunde erbringt den vollen Beweis der in ihr beurkundeten Tatsachen. Denn sie ist eine öffentliche Urkunde, der § 182 Abs. 1 Satz 2, § 418 ZPO diese Beweiswirkung beilegen. Allerdings kann gegen den durch die Zustellungsurkunde erbrachten Beweis ein Gegenbeweis geführt werden, dass die beurkundeten Tatsachen unrichtig sind. Dieser Beweis ist aber nur erbracht, wenn zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass "jede Möglichkeit der Richtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen ausgeschlossen" ist. Es reicht also nicht aus, Zweifel an der Richtigkeit der Zustellungsurkunde zu wecken, sondern es ist der volle Beweis dessen zu führen, was sich stattdessen zugetragen hat.
Mehr als eine solche volle richterliche Überzeugung von den Tatsachen, welche die Richtigkeit der Zustellungsurkunde ausschließen, ist allerdings nicht erforderlich; es ist also nicht etwa zu fordern, dass die Erhebung des Gegenbeweises ergibt, dass auch jede nur rein theoretische Möglichkeit der Richtigkeit der Zustellungsurkunde – welche Möglichkeit normalerweise bei der Beweiswürdigung außer Betracht bleiben muss, weil sonst praktisch niemals irgendetwas festgestellt werden könnte – ausgeschlossen werden kann.
2. Ob ein Beweis erbracht ist oder nicht, darf das Gericht grundsätzlich erst nach durchgeführter Beweiserhebung entscheiden (Verbot der Vorwegnahme der Beweiswürdigung). Das schließt es indes nicht aus, dass das Gericht die Tauglichkeit der angebotenen Beweismittel vorweg beurteilt und einen Beweis nicht erhebt, wenn von vornherein feststeht, dass die von dem Beweisführer gewünschten Schlussfolgerungen nicht gezogen werden können, wenn die Beweiserhebung das von diesem gewünschte Ergebnis hat, wenn also z.B. ein angebotener Zeuge glaubhaft das bekundet, was der Beweisführer in sein Wissen stellt.
3. Gegen die Richtigkeit von Zustellungsurkunden, die einen fehlgeschlagenen Zustellversuch durch Übergabe in der Wohnung des Zustellungsadressaten bezeugen, wird oftmals vorgebracht, man sei in der fraglichen Zeit anwesend gewesen, der Zusteller habe aber gar nicht geklingelt und auch keine Benachrichtigung bzw. kein Schriftstück (im Weg der Ersatzzustellung) hinterlassen. Solches Vorbringen ist in der Regel deshalb zur Widerlegung der Zustellungsurkunde ungeeignet, weil es – erstens – nicht ausschließt, dass die Klingel überhört worden ist und die ordnungsgemäß angebrachte Benachrichtigung übersehen oder abhanden gekommen (z.B. von Dritten weggenommen) worden ist; und weil – zweitens – im Allgemeinen eine hinreichend genaue Erinnerung daran nicht vorhanden sein kann, dass man sich in der regelmäßig...