Leitsatz
Ein Steuerpflichtiger, der eine Berufsausbildung, wie sie in den Ingenieurgesetzen der Länder vorgeschrieben ist, nicht besitzt, kann nachweisen, dass er vergleichbare Kenntnisse durch Selbststudium erworben hat. Ein Nachweis ist entbehrlich, wenn die berufliche Tätigkeit ohne theoretische Grundlagen, wie sie eine der Berufsausbildung des Ingenieurs ähnliche Ausbildung vermittelt, nicht ausgeübt werden kann. Voraussetzung ist jedoch, dass die Tätigkeit besonders anspruchsvoll ist und sowohl der Tiefe als auch der Breite nach zumindest das Wissen eines Kernbereichs eines Fachstudiums verlangt.
Sachverhalt
Der Kläger ist gelernter Datenverarbeitungskaufmann mit IHK Abschluss. Nachdem er zunächst nach seiner Ausbildung ca. 1 Jahr bei seinem ehemaligen Ausbildungsbetrieb im Bereich der Prozessautomation nichtselbständig tätig war, begann er im August 1993 eine selbständige Tätigkeit im gleichen Tätigkeitsgebiet. Schwerpunkte im Bereich seiner beruflichen Tätigkeit waren die Entwicklung von Programmen über die Zuordnung und Vercodung von Auftrags- und Fertigungsdaten und die Übertragung von Messdaten bzw. eines Programms zur Herstellung von Datenreplikationen. Der Kläger erklärte seine Einkünfte ab August 1993 als solche aus selbständiger Arbeit und gab keine Gewerbesteuererklärungen ab. Nachdem das Finanzamt für die Streitjahre 1994 bis 1997 Gewerbesteuermessbescheide erlassen hatte und der Kläger dagegen erfolglos Einsprüche eingelegt hatte, wurde Klage erhoben. Das Finanzamt führte bei den Einspruchsentscheidungen aus, dass die Tätigkeit des Klägers im Bereich der Anwendungssoftware liege und somit nicht in einem für den Beruf des Ingenieurs typischen Bereich.
Entscheidung
Der Kläger übt eine freiberufliche Tätigkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aus. Ein stehender Gewerbebetrieb nach § 2 Abs. 1 S. 1 GewStG i.V.m. § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG liegt nicht vor. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger in den Streitjahren keinen der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG genannten Katalogberufe, insbesondere nicht den des Ingenieurs, ausgeübt hat und auch einem Ingenieur mit geschützter Berufsbezeichnung nicht gleichgestellt werden kann. Das Gericht gelangt jedoch zur Auffassung, dass der Kläger einen dem Ingenieurberuf ähnlichen Beruf i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ausgeübt hat. Ein Beruf ist einem Katalogberuf ähnlich, wenn er in wesentlichen Punkten mit diesem verglichen werden kann. Dazu gehört die Vergleichbarkeit der Ausbildung in ihrer fachlichen Breite und Tiefe und der beruflichen Tätigkeit (BFH, Urteile v. 12.10.1989, IV R 118-119/87, BStBl 1990 II S. 64 und v. 28.8.2003, IV R 21/02, BStBl 2003 II S. 919). Das gilt auch für einen dem Katalogberuf des Ingenieurs ähnlichen Beruf. Aus einem dem Gericht vorliegenden, vom Finanzamt nicht bestrittenen, Sachverständigengutachten ergibt sich, dass der Kläger über die theoretischen Kenntnisse verfügt, die ihrer Breite und Tiefe nach denjenigen des an einer Fachhochschule ausgebildeten Diplom-Informatikers entsprechen, zumal die praktischen hochkomplexen Problemstellungen, die der Kläger zu bewältigen hat, nur durch die umfassenden Kenntnisse für den Kläger lösbar sind.
Hinweis
Nicht entscheidungserheblich ist, in welchem konkreten (zeitlichem) Verhältnis verschiedene ausgeübte Tätigkeiten zueinander stehen. Es kann nur darauf ankommen, in welchem Bereich der qualitative Schwerpunkt insgesamt liegt. Ist dieser Schwerpunktbereich einem Katalogberuf ähnlich, liegen Einkünfte nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG vor.
Link zur Entscheidung
FG München, Urteil vom 16.12.2003, 6 K 2781/99