Dipl.-Finanzwirt Christian Ollick
Leitsatz
Das Finanzgericht entschied, dass ein Handelsvertreter seinen qualitativen Tätigkeitsmittelpunkt im häuslichen Arbeitszimmer hat, wenn er in diesem Raum prägende betriebswirtschaftliche Tätigkeiten ausübt und keiner klassischen Außendiensttätigkeit nachgeht. Da das Arbeitszimmer im Urteilsfall die "unternehmerische Schaltzentrale" war, durfte der klagende Vertreter seine Raumkosten in voller Höhe abziehen.
Sachverhalt
Ein selbstständiger Handelsvertreter war überregional im Wurst- und Käsevertrieb tätig und hatte sich für diese Tätigkeit ein häusliches Arbeitszimmer eingerichtet, für das er im Veranlagungszeitraum 2010 Raumkosten von insgesamt 3.595 EUR aufwandte. Das Finanzamt erkannte die Kosten nur beschränkt mit 1.250 EUR als Betriebsausgaben an und erklärte, dass dem Vertreter ein unbeschränkter Kostenabzug mangels Tätigkeitsmittelpunkt im Arbeitszimmer nicht zustehe. Entscheidend sei, dass er die prägenden Tätigkeiten (z. B. Präsentation neuer Waren, Betreuung der Neukunden) vor allem im Außendienst ausübe.
Entscheidung
Das Finanzgericht verortete den Tätigkeitsmittelpunkt des Handelsvertreters jedoch sehr wohl im häuslichen Arbeitszimmer und ließ die Raumkosten komplett zum Abzug zu. Entscheidend war für das Gericht, dass der Handelsvertreter keiner klassischen Außendienststätigkeit nachgegangen war, sondern in erster Linie an der Vermittlung von Liefergeschäften im Innendienst beteiligt war. Ein erheblicher Anteil seiner Arbeitszeit entfiel darauf, Preis- und Sortimentslisten, Monatsübersichten und sog. 26-Wochen-Analysen für jeden Kunden zu erstellen. Seine Aufgabe beschränkte sich nicht nur in der Weiterleitung von Wurst- und Käsebestellungen an Lieferanten, sondern erstreckte sich auch auf die individuelle Angebots- und Bedarfsermittlung für jeden einzelnen Kunden. Die prägenden betriebswirtschaftlichen Tätigkeiten hatte der Vertreter nach Überzeugung des Gerichts im häuslichen Arbeitszimmer ausgeübt; dieser Raum war als seine "unternehmerische Schaltzentrale" anzusehen.
Hinweis
Der Urteilsfall zeigt, dass einem Handelsvertreter der Tätigkeitsmittelpunkt im häuslichen Arbeitszimmer nicht reflexartig abgesprochen werden kann. Liegen seine prägenden Tätigkeiten - wie im vorliegenden Fall - im Innendienst, kann ihm durchaus ein Komplettabzug der Raumkosten (nach § 4 Abs. 5 Nr. 6b Satz 3, 2. Halbsatz) zuzugestehen sein. Es kommt somit auf die Ausgestaltung der jeweiligen Tätigkeit an.
Link zur Entscheidung
FG Münster, Urteil vom 05.03.2015, 5 K 980/12 E