Jörg Hanken, Guido Kleinhietpaß
Teilweise werden Verrechnungspreise eingesetzt, um dem Vertrieb nicht aufzudecken, wie hoch der Deckungsbeitrag oder allgemeiner die Marge eines Produktes der Vorstufe(n) ist. Dabei wird der Verrechnungspreis anstelle der Produktkosten bekannt gegeben. Das folgende Beispiel zeigt, wie der Verrechnungspreis wirkt:
Abb. 214: Verrechnungspreise verschleiern Informationen
In der Ausgangssituation links sieht der Vertrieb (Routinevertriebsgesellschaft ›RVG‹) den kompletten Deckungsbeitrag der Firma von 7 EUR. In schwierigen Preisverhandlungen besteht die Versuchung, dem Kunden einen Preisnachlass zu gewähren. Insbesondere dann, wenn sein Zielmaßstab ›Absatz‹ oder ›Umsatz‹ lautet und nicht in einer Ergebnisgröße besteht. Die Marge von 7 EUR bietet scheinbar genügend Spielraum für Rabatte. Was der Außendienstler nämlich häufig nicht weiß, ist die Höhe der noch zu deckenden Kosten. Er kennt i. d. R. weder die in der Fertigung anfallenden fixen Kosten (Raumkosten, Abschreibungen etc.) noch die Kosten diverser zentraler Abteilungen. Beispiele dafür wären Marketing-/Produktmanagement, Entwicklung, Qualität oder die allgemeine Verwaltung. Den 7 EUR sieht man die Strukturkosten, die sie decken sollen, nicht an. Je öfter dem Kunden nachgegeben wird, umso mehr erodiert die Marge. Diesem Verhalten lässt sich mit dem Verrechnungspreis eine Grenze setzen. Der Wareneinstand für die Vertriebsgesellschaft beträgt hier z. B. 25 EUR und stellt somit dessen Information über die Preisuntergrenze dar. Er verhindert, dass der Außendienstler bis zu 7 EUR Rabatt gibt. Durch Einführung des Verrechnungspreises von 25 EUR beträgt der maximale Rabatt 3 EUR, weil nur die Produktion die tatsächlichen Kosten eines zusätzlichen Stücks kennt.
Im Idealfall wird ein solcher Verrechnungspreis mit der individuellen Zielstellung des Außendienstlers verknüpft. Eine betriebswirtschaftlich gute Variante sieht wie folgt aus:
- die 4 EUR könnte man als versteckten Deckungsbeitrag bezeichnen, denn sie decken die anteiligen Strukturkosten (für Fertigung, Verwaltung und Projekte) und sie stellen einen Teil des Gewinnziels der Firma dar,
- durch die übrigen 3 EUR müssen die Strukturkosten des Vertriebes gedeckt werden sowie der andere Teil des Gewinnziels der Firma.
Angenommen, der Außendienstler kann in seinem Markt eine Menge von 1.000 Stück zu 28 EUR/Stück absetzen. Diese Zielstellung sei fair, d. h. zugleich herausfordernd als auch erreichbar. Aus einem Verrechnungspreis von 25 EUR/Stück folgt ein Ziel-Deckungsbeitrag von 3.000 EUR. Betragen die Strukturkosten des Vertriebes 1.500 EUR, so folgt ein Ziel-EBIT von 1.500 EUR. Das entspricht einer Bruttomarge von 5 % als relativer Zielgröße.
Nun wissen sicherlich viele Leser aus eigener, leidvoller Erfahrung, dass gerade über solche Verrechnungspreise oft intensiv zwischen Produktion und Vertrieb gestritten wird: ›Wenn ich nur etwas mehr Spielraum hätte, d. h., wenn der Verrechnungspreis nur ein wenig tiefer liegen würde, dann könnte ich auch mehr verkaufen‹ so argumentiert oftmals der Außendienst. Es entsteht eine müßige Diskussion, die die Firma nicht weiterbringt, da kein zusätzlicher Umsatz und kein zusätzlicher Deckungsbeitrag erwirtschaftet werden. Aus der Praxis wird teilweise von Vertriebsmitarbeitern berichtet, dass es doch viel leichter sei, einmal, nämlich in der Budgetphase, intensiv mit dem Zentralcontrolling ein niedrigeres Ziel (bzw. niedrigere VP) zu verhandeln, als das ganze Jahr über mit den Kunden. Eine Reduzierung des VP, die im Zweifel zu einer Erhöhung des Ergebnisses der "RVG" oder zu einer leichteren Erreichung der Zielvorgaben der "RVG" (bzw. der Vertriebsmitarbeiter) führen kann, dürfte nicht im Sinne des Gesamtunternehmens sein.
Falls der Verrechnungspreis gegenüber der Vertriebsgesellschaft gesenkt werden soll (unterstellt, der neue Preis befindet sich noch innerhalb der zulässigen steuerlichen Bandbreite), dann muss automatisch die Zielvorgabe erhöht werden. Bei einem Verrechnungspreis von 24 EUR lautet das zugehörige Ziel automatisch 4.000 EUR Deckungsbeitrag. Bei 1.000 Einheiten und der neuen Bruttomarge von 4 EUR ergeben sich eben 4.000 EUR. Wer sich nun fragt, mit welcher Berechtigung das Ziel um 1.000 EUR heraufgesetzt wird, der muss sich eine viel grundsätzlichere Frage stellen: Wie war denn das erste Ziel von 1.000 Stück bei einem Preis von 28 EUR zustande gekommen? Wenn die Menge von 1.000 Stück bei einem Preis von 28 EUR realistisch war, dann ist sie das auch weiterhin. Ob der Verrechnungspreis 24 EUR oder 25 EUR je Stück beträgt, hat darauf keinen Einfluss. Der Verrechnungspreis ist eine rein interne Größe. Der Kunde kennt den Verrechnungspreis nicht. Er beeinflusst den Markt nicht – weder hinsichtlich der Menge noch hinsichtlich der Preisbereitschaft des Kunden. Die Anforderung an den Vertrieb ist unverändert: 1.000 Stück zu durchschnittlich 28 EUR Nettoverkaufspreis. Die Erhöhung der Zielvorgabe als Konsequenz der VP-Reduzierung beeinflusst das Verhalten des Vertriebs. Zum eine...