Wenn ein deutsches Unternehmen nach dem Austritt Ware aus Großbritannien bezieht, die tatsächlich körperlich nach Deutschland gelangt, sind die Vorschriften über den innergemeinschaftlichen Warenverkehr (innergemeinschaftlicher Erwerb) nicht mehr anwendbar, weil Großbritannien nicht mehr zum Gemeinschaftsgebiet gehört.

Stattdessen kommt es regelmäßig zu einer steuerbaren Einfuhr von Gegenständen im Inland, welche der Einfuhrumsatzsteuer zu unterwerfen ist. Insoweit sind zollrechtliche Vorschriften maßgeblich. Zollrechtlicher Abgabenschuldner ist regelmäßig die Person, welche die Ware zum freien Verkehr überlässt (vgl. Teil G). Es ist jeweils zu prüfen, ob der britische Lieferant oder der deutsche Kunde der Schuldner der Einfuhrabgaben ist.

Deutsche Unternehmen müssen beachten, dass ein Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer grundsätzlich neben einer Verwendung für den Vorsteuerabzug nicht ausschließende Umsätze (vgl. § 15 Abs. 2 UStG) die Verfügungsmacht an der gelieferten Sache im Zeitpunkt der Einfuhr voraussetzt (vgl. Abschnitt 15.8 UStAE, BFH vom 24.04.1980, V R 52/73, BStBl II 1980, 615). Der Begriff der Verfügungsmacht ist nach umsatzsteuerlichen Kriterien zu beurteilen. Es kommt auf eine entsprechende eigentümerähnliche Stellung an. Rein zivilrechtliches Eigentum ist nicht maßgeblich, sodass insbesondere ein Eigentumsvorbehalt oder vergleichbare Regelungen für sich allein irrelevant sind (vgl. Abschnitt 3.1 UStAE). Kraft Fiktion wird umsatzsteuerlich bei Lieferungen mit Beförderung oder Versendung der Übergang der Verfügungsmacht bei Beginn der Warenbewegung unterstellt (vgl. BFH vom 24.04.1980, V R 52/73, BFHE 130, 564, BStBl II 1980, 615), sodass unabhängig von zivilrechtlich gewählten Konditionen bei einem Verkaufsgeschäft mit Warenbewegung in das Inland regelmäßig die Verfügungsmacht im Zeitpunkt der Einfuhr beim inländischen Abnehmer liegt und mithin dieser zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.

Wichtige Ausnahmen bestehen bei Geschäften ohne Eigentumsübergang, zu denken ist hier insbesondere an Mietverträge, Leasingverträge und vergleichbare Vertragsverhältnisse. Hier ist normalerweise der ausländische Vermieter bzw. Leasinggeber der Inhaber der relevanten Verfügungsmacht und nur er kann die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer abziehen (vgl. Abschnitt 15.8 Abs. 9 UStAE). Dies gilt auch dann, wenn der inländische Kunde die entsprechende Zollanmeldung abgibt und im Einfuhrabgabenbescheid selbst als Abgabenschuldner angegeben ist. Insoweit spielt es auch keine Rolle, wer die Einfuhrumsatzsteuer tatsächlich bezahlt hat (vgl. Abschnitt 15.8 UStAE).

 
Hinweis

Praxishinweis

Warenbezüge aus Großbritannien sind nach dem Brexit grundsätzlich einfuhrumsatzsteuerpflichtig. Dabei ist im Einzelfall zu prüfen, ob der deutsche Abnehmer zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.

Potenziell umsatzsteuerlich problematisch können weiterhin Lagersachverhalte sein. Wenn beispielsweise ähnlich wie im Abschnitt zu Konsignationslagern ausgeführt ein britischer Lieferant einen inländischen Warenbestand für einen deutschen Kunden einrichtet und dabei vereinbart wird, dass die relevanten Eigentumsrechte erst bei Entnahme übergehen, ist der inländische Kunde nicht zum Vorsteuerabzug der bei Lagerbeschickung entstehenden Einfuhrumsatzsteuer berechtigt.

In Fällen der Lohnveredelung und sonstigen Bearbeitung ist es ausnahmsweise dagegen möglich, dass der inländische Dienstleister, obwohl er keine umsatzsteuerlich relevante Verfügungsmacht an den zu bearbeitenden Gegenständen oder Materialien erwirbt, zum Vorsteuerabzug berechtigt sein kann. Dies setzt allerdings voraus, dass der entsprechende Gegenstand aus dem Drittlandsgebiet kommt und entweder in das Drittlandsgebiet zurückgelangt oder alternativ im Inland weiter geliefert wird und diese Lieferung nicht nach § 4 Nr. 8 ff. UStG steuerfrei ist (vgl. Abschnitt 15.8 Abs. 8 UStAE).

Durch den Wechsel vom innergemeinschaftlichen Erwerb zur Einfuhr kann es weiterhin zu temporären Cashflow-Effekten kommen. Der innergemeinschaftliche Erwerb und die Vorsteuer auf diesen werden periodengleich gemeldet, sodass voll zum Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmen keine Zahlungsauswirkung erfahren. Die Einfuhrumsatzsteuer ist hingegen grundsätzlich bei der Überlassung zum steuerrechtlich freien Verkehr, § 21 Abs. 2 Satz 1 UStG i. V. m. Art. 77 Abs. 1 Buchst. a Unionszollkodex (UZK) an den Zoll zu bezahlen. Der Vorsteuerabzug ist dann erst bei Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldung möglich. Dies kann zu einer temporären Liquiditätsbelastung führen.

 
Praxis-Beispiel

Beispiel

Die deutsche Fritz GmbH erhält eine Warenlieferung von einem Geschäftspartner in Großbritannien. Der Einkaufspreis einschließlich Transportkosten beträgt 10.000 EUR. Die Ware wird am 03.05.2020 zum freien Verkehr überlassen. Die Fritz GmbH muss entsprechend am 03.05.2020 Einfuhrumsatzsteuer von 1.900 EUR bezahlen. Den Vorsteuerabzug macht sie erst in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat Mai 2020 geltend. Diese wird regelmäßig zum 10.06. und...

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