Entscheidungsstichwort (Thema)
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Besteuerung unentgeltlicher Wertabgaben nach Ablauf des Berichtigungszeitraums des § 15a UStG
Leitsatz (redaktionell)
Im Hinblick auf die Funktion des § 3 Abs. 1b UStG als Korrekturtatbestand des Vorsteuerabzugs und den fünfjährigen Berichtigungszeitraum des § 15a UStG bei beweglichen Anlagegegenständen ist ernstlich zweifelhaft, ob die Entnahme eines über mindestens fünf Jahre unternehmerisch genutzten PKW aus dem Unternehmensvermögen der Umsatzsteuer unterworfen werden darf.
Normenkette
UStG 2005 § 3 Abs. 1b, § 15a; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1
Tenor
1. Die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids vom 2. Dezember 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Februar 2009 wird bis zur Entscheidung in der Hauptsache (Az.: 2 K 180/09) ohne Sicherheitsleistung ausgesetzt.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
3. Die Beschwerde wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Entnahme eines über fünf Jahre unternehmerisch genutzten Pkw's der Umsatzsteuer zu unterwerfen ist.
Die Antragstellerin betrieb ein Einzelhandelsgeschäft. Am 28. Februar 2002 erwarb sie für ihr Unternehmen einen Pkw. Die ihr hierfür in Rechnung gestellte Umsatzsteuer zog die Antragstellerin in 2002 – nach der seinerzeit geltenden Abzugsbeschränkung des § 15 Abs. 1 b Umsatzsteuergesetz (UStG) – zu 50% als Vorsteuer ab. Am 1. März 2007 entnahm sie den Pkw zum Wert von 6.875,00 EUR (ohne Umsatzsteuer) in ihr Privatvermögen.
Der Antragsgegner unterwarf die Entnahme vollständig der Umsatzsteuer i. H. v. (6.875,00 EUR × 19 v. H.=) 1.306,25 EUR. Er setzte mit Umsatzsteuerbescheid vom 2. Dezember 2008 Umsatzsteuer für 2007 unter Berücksichtigung anderer Vorsteuern i. H. v. (1.306,25 EUR ./. 76,68 EUR=) 1.229,57 EUR fest. Einspruch und außergerichtlicher Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids blieben erfolglos.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrem gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung. Sie ist der Ansicht, eine „Berichtigung” des Vorsteuerabzugs durch Besteuerung der Entnahme des Pkw sei nach Ablauf des fünfjährigen Berichtigungszeitraums des § 15 a UStG nicht mehr möglich.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids vom 2. Dezember 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Februar 2009 auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abzuweisen.
Der Antragsgegner hält an seiner Einspruchsentscheidung fest. Er ist der Auffassung, die Entnahme sei in voller Höhe zu versteuern.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) hat Erfolg.
1. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen (§ 361 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung – AO –, § 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 FGO). Das ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) dann der Fall, wenn bei einer summarischen Prüfung neben für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die (abgesehen von unklaren Tatfragen) Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage bewirken. Die AdV setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen; es genügt, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg (Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 89, m. w. N.). Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (BFH-Beschluss vom 23. August 2007 VI B 42/07, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2007, 799).
2. Gemessen an den vorstehenden Maßstäben bestehen im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids.
a) Die vom Antragsgegner vorgenommene Besteuerung der Pkw-Entnahme entspricht zwar dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 b Nr. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 und § 10 Abs. 4 Satz Nr. 1 Satz 2 UStG. Die genannten Vorschriften könnten jedoch im Streitfall nicht nur an ihrem Wortlaut orientiert anzuwenden sein, wenn dies durch den ihnen zugrunde liegenden Zweck und den systematischen Zusammenhang mit anderen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes geboten ist.
b) So wird von einigen Autoren in der umsatzsteuerrechtlichen Literatur vertreten, dass die genannten Vorschriften über die Entnahmebesteuerung teleologisch zu reduzieren und im Zusammenhang mit den grundlegenden, in § 15 a UStG normierten Regelungen über die Berichtigung des Vorsteuerabzugs auszulegen bzw. durch eine entsprechende Anwendung der Grundregeln des § 15 a UStG zu ergänzen sind. Danach könne ein ursprünglich vorgenommener Vorsteuerabzug nach Ablauf des in § 15 a Abs. 1 UStG normierten Berichtigungszeitraums von fünf Jahren nicht mehr, auch nicht über den Weg einer Entnahmebesteuerung „berichtigt” werden (Stadie, UStG, Köln 2009, § 3...