rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechnung mit einer auf der Berücksichtigung von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen beruhenden Einkommensteuererstattung während der auf das Insolvenzverfahren folgenden Wohlverhaltensphase
Leitsatz (redaktionell)
1. In der sich an das Insolvenzverfahren anschließenden Wohlverhaltensphase kann die Finanzbehörde mit Steuerforderungen gegen Steuererstattungsansprüche des Insolvenzschuldners aufrechnen, solange der die Restschuldbefreiung erteilende Beschluss des Insolvenzgerichts aussteht.
2. Die Aufrechnungsbeschränkungen der §§ 95ff. InsO finden nur im offenen Insolvenzverfahren, nicht jedoch in der anschließenden Wohlverhaltensphase Anwendung. § 294 InsO verbietet Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, nicht aber Aufrechnungen in dieser Zeit.
3. Ein Aufrechnungsverbot ergibt sich auch dann nicht, wenn die Einkommensteuererstattung auf Vorschriften zur Sicherstellung des Existenzminimums (hier der Berücksichtigung von durch eine schwerwiegende Erkrankung der Tochter des Klägers verursachten Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen) beruht.
4. Die Aufrechnung ist selbst dann nicht treu- oder gar sittenwidrig, wenn das dem Kläger für den zurückliegenden Veranlagungszeitraum zustehende Existenzminimum unterschritten wird.
Normenkette
AO §§ 37, 218 Abs. 2, § 226; InsO §§ 95, 294 Abs. 3; BGB §§ 242, 387, 394; SGB I § 54 Abs. 3 Nr. 3
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Strittig ist die (anteilige) Aufrechnung des Einkommensteuererstattungsanspruchs 2008 mit Forderungen aus einem Haftungsbescheid gegen den Kläger.
Der Kläger wurde mit bestandskräftigem Haftungsbescheid vom Juni 2002 in Höhe von 25.970 Euro wegen Lohn- und Umsatzsteuerschulden einer GmbH als deren Geschäftsführer gem. § 69 der Abgabenordnung (AO) in Haftung genommen. Die Fälligkeit war im Juli 2002. Ein Antrag auf Erlass der Haftungsschulden wurde abgelehnt.
Im Nov. 2005 wurde das Insolvenzverfahren gegen ihn eröffnet, das im Jan. 2008 aufgehoben wurde. Nov. 2011 wird die sogenannte „Wohlverhaltensperiode” voraussichtlich beendet sein.
Im Dez. 2009 erging ein Einkommensteuerbescheid, aus dem sich ein gemeinsamer Erstattungsanspruch der zusammen veranlagten Kläger i. H. v. 3.166,76 EUR ergab. Diesen teilte der Beklagte auf und überwies der Klägerin den anteiligen Erstattungsanspruch i. H. v. 935,34 EUR. Das anteilige Guthaben des Klägers (2.231,42 EUR) wurde im Dez. 2009 mit Forderungen laut Haftungsbescheid aufgerechnet.
Die Kläger wenden sich gegen die Aufrechnung. Mit Schreiben vom Mai 2010 beantragten sie den nunmehr streitigen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO, der im Mai 2010 erteilt wurde. Der Einspruch wurde im Sept. 2010 als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kläger tragen vor, der Einkommensteuererstattungsanspruch hinge mit der schweren Tumorerkrankung ihres mittlerweile verstorbenen Kindes und der damit verbundenen finanziellen Notsituation der Familie zusammen. Der Steuererstattungsanspruch aus dem o. a. Einkommensteuerbescheid 2008 beruhe zu ca. 45 % auf den wegen schwerer Krankheit des Kindes geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen (Behindertenpauschbetrag, Pflegepauschbetrag und Fahrtkosten). Die krankheitsbedingten Mehraufwendungen erhöhten den zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes notwendigen Bedarf, so dass eine Aufrechnung in der Wohlverhaltensphase ausnahmsweise unzulässig sei. Daher sei die Aufrechnung nicht nur unmoralisch, sondern auch unzulässig.
Die Kläger beantragen,
den Abrechnungsbescheid vom Mai 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom September 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die noch zu erstattende Einkommensteuer in Höhe von 2.231,42 Euro
nebst den gesetzlichen Verzugszinsen ab dem Eintritt der gesetzlichen Voraussetzungen zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die Aufrechnung für zulässig.
Der Berichterstatter fragte im Apr. 2011 an, ob die Klage aufrecht erhalten werde oder gerichtsgebührenreduziert zurückgenommen werde. Die Kläger teilten mit, dass an der Klage festgehalten werde.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet, die Aufrechnung war rechtmäßig.
I. Über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis i. S. v. § 37 AO betreffen, entscheidet die Finanzbehörde durch eigenständigen Verwaltungsakt in Form eines Abrechnungsbescheides, § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO). Dies gilt auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch betrifft, welcher mit einer Forderung gegen den Erstattungsberechtigten aufgerechnet wurde. Für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche gelten gem. § 226 Abs. 1 AO die Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Voraussetzung für eine wirksame Aufrechnung ist das Vorliegen der Aufrechnungslage. Sie ist gem. §§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gegeben, wenn die Vorauss...