rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Festsetzung von Kindergeld ab September 1996

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 09.06.1999; Aktenzeichen VI R 39/98)

 

Tenor

1. Der Bescheid über die Ablehnung des Antrages auf Kindergeld für das Kind MM ab September 1996 vom 1. 11. 1996 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2.12.1996 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, gegenüber der Klägerin Kindergeld für das Kind im beantragten Umfange festzusetzen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob während eines Auslandsaufenthaltes im Rahmen eines Au-pair-Verhältnisses Kindergeld zu gewähren ist.

Die Tochter der unbeschränkt steuerpflichtigen Klägerin, MM MI, bestand am 20.06. 1996 in KLM ihr Abitur. Vom 01.09.1996 bis März 1997 hielt sie sich zu einem Sprachstudienaufenthalt in Coventry, West Midlands, England auf. Sie besuchte täglich den Englischunterricht am Solihull College als „full-time student” (insgesamt 15 Wochenstunden) und half im Rahmen eines Au-pair-Verhältnisses im Haushalt einer englischen Familie (vgl. Bl. 69 und 71 der Kindergeldakte – KA –). Hierfür erhielt sie ein Taschengeld von ca. 350 DM im Monat, sowie freie Unterkunft und Verpflegung (vgl. die Bestätigung Bl. 71 KA). Seit dem Sommersemester 1997 studiert sie Medizin an der Universität (Bl. 25 GA).

Dem Antrag der Klägerin vom 10. 10. 1996, ihr für die Zeit ab dem 01.09.1996 für ihre Tochter MM Kindergeld zu gewähren lehnte die Beklagte (die Familienkasse beim Arbeitsamt KLM) durch Bescheid vom 1. 11. 1996 (Bl. 74 KA) ab. Auch der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung trägt sie vor, der Auslandsaufenthalt habe der Vervollkommnung der englischen Sprache gedient. Ihre Tochter habe zunächst beabsichtigt, Englisch zu studieren. Unbeschadet dieses Berufswunsches sei das Erlernen der englischen Sprache im Zeitalter der europäischen Einigung sinnvoll für jedwede Berufssparte.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 1. 11. 1996 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. 12. 1996 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr für die Zeit ab September 1996 Kindergeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen
  2. hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Zur Begründung trägt sie vor, der Auslandsaufenthalt in einem Au-pair-Verhältnis könne nicht als Berufsausbildung i. S. d. Gesetzes angesehen werden. Dies könne allenfalls der Fall sein, wenn ein Kind einen Beruf anstrebe, zu dessen Ausübung umfassende Kenntnisse in fremder Sprache benötigt werden, für den eine geregelte Ausbildung mit berufsqualifizierendem Abschluß nicht vorgeschrieben sei. Die Tochter der Klägerin habe sich überdies nicht eindeutig über ihre Berufswünsche geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Der Klägerin steht für ihre Tochter MM MI ab September 1996 Kindergeld im beantragten Umfange zu.

1. Gemäß § 62 Abs. 1 Einkommensteuergesetz -EStG- 1996 hat Anspruch auf Kindergeld für Kinder i.S.d. § 63 des EStG 1996, wer im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Gemäß § 63 Abs. 1 EStG 1996 werden Kinder i.S.d. § 32 Abs.1 EStG 1996 berücksichtigt. § 32 Abs. 3 bis 5 EStG 1996 gilt entsprechend (§ 63 Abs.1 Satz 2 EStG 1996). Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Ziff. 2 Buchst. a) EStG 1996 wird danach ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.

Berufsausbildung ist begrifflich die Ausbildung für einen künftigen Beruf. Zur Berufsausbildung gehört auch der Besuch von Allgemeinwissen vermittelnden Schulen (vgl. zum Begriff Schmidt/Glanegger,EStG, 17. Aufl., § 32 Rdz. 38). Ebenfalls kann ein Auslandssprachaufenthalt zur Berufsausbildung gezählt werden, wenn er zur Vervollkommnung der Sprachkenntnisse bestimmt ist und solche für die Berufsausbildung erforderlich sind (vgl. Kanzler in Herrmann Heuer Raupach, Komm. zur EStG und Körperschaftsteuer, § 32 Anm. 96). Dies gilt selbst dann, wenn das Kind als Haushaltshilfe (Au-pair) tätig wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs wird dieser Aufenthalt, wenn er ungefähr ein Jahr nicht überschreitet, regelmäßig als Berufsausbildung anzusehen sein, sofern nicht besondere Anhaltspunkte gegen das Vorliegen einer Berufsausbildung sprechen (BFH, Urteil vom 15.01.1960 VI 310/58 U, BStBl III 1960, 118). Nach sozialrechtlicher Rechsprechung kann ein Au-Pair-Aufenthalt Berufsausbildung sein, wenn der im Ausland besuchte Sprachkurs Zeit und Arbeitskraft des Kindes in wesentlichem Umfang in Anspruch nimmt und die dort erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten in der Fremdsprache für die Ausübung des angestrebten Berufs Voraussetzung sind (vgl. Bundessozialge...

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