Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Rechtswidrigkeit der Rückforderung von Leistungen auf der Grundlage des § 328 Abs 3 SGB 3. Nichtvorliegen einer vorläufigen Entscheidung nach § 328 Abs 1 SGB 3. Unbestimmtheit des Verwaltungsakts. Anforderungen an die Rücknahme der Leistungsbewilligung gem § 45 SGB 10. keine Pflicht zur Nachholung fehlender Ermittlungen durch das Gericht
Leitsatz (amtlich)
1. Ausgehend vom Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art 20 Abs 3 GG) dient ein Verwaltungsakt dazu, die abstrakt generellen gesetzlichen Regelungen auf den Einzelfall umzusetzen. Im Ergebnis geht daher jedwede Unklarheit zu Lasten der Behörde. Der Verfügungssatz ist der Inbegriff der Regelung des Verwaltungsaktes. Es bedarf im Ergebnis klarer und eindeutiger Ausführungen, dass und warum und in Bezug auf welchen Inhalt der Leistungsbewilligung eine Vorläufigkeitsregelung getroffen wird. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass eine unter Vorläufigkeitsvorbehalt stehende Regelung als Rechtsgrund für gewährte Leistungen ohne diejenigen Einschränkungen wieder aus der Welt geschafft werden kann, welche die regulären Rücknahmeregeln - insbesondere § 45 SGB X und § 330 SGB III - regelmäßig aufbauen.
2. Da die Ermächtigungsgrundlagen des § 328 Abs 3 SGB III und der §§ 45, 50 SGB II völlig unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen haben und sich insbesondere dahingehend unterscheiden, dass für § 45 SGB X maßgeblich der Verschuldensvorwurf ist, wohingegen subjektive Umstände bei der endgültigen Festsetzung unerheblich sind, besteht keine Verpflichtung im Rahmen der Amtsermittlungspflicht, die unterlassenen Ermittlungen des Beklagten hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 SGB X nachzuholen. Der Beklagte ist bereits im vorherigen Verfahrensstadium verpflichtet, die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Norm, auf die er seine Verwaltungsentscheidung stützt, zu ermitteln und entsprechend festzustellen. Im Rahmen einer Anfechtungsklage der vorliegenden Art ist es Aufgabe des Gerichts, die Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu überprüfen, nicht aber die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts erst zu schaffen (Anschluss an BSG vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R = SozR 4-4200 § 60 Nr 3 = juris RdNr 20, 25).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 14. Mai 2013 aufgehoben. Der Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2010 wird aufgehoben.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Leistungen nach dem SGB II i.H.v. 4.814,68 Euro für den Zeitraum Dezember 2007 bis Mai 2008.
Der 1958 geborene Kläger steht seit Januar 2005 im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II.
Am 19. April 2007 erklärte der Kläger im Rahmen der Abgabe eines Weiterbewilligungsantrages unter Vorlage einer ab 10. November 2006 gültigen Reisegewerbekarte, dass er seit Dezember 2006 eine selbständige Tätigkeit ausübe, welche das Feilbieten von Mineralien, Schmuck und Geschenkartikeln auf Märkten umfasse. Momentan verhalte es sich so, dass die Einnahmen die Ausgaben noch nicht übersteigen würden und er somit noch keinen Gewinn erzielen konnte. Der Beklagte ermittelte in der Folgezeit den Leistungsanspruch des Klägers unter Berücksichtigung des der Höhe nach wechselnden Einkommens aus selbständiger Tätigkeit auf Grundlage der eingereichten Einnahmen-Überschuss-Rechnungen. Für den streitgegenständlichen Zeitraum bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 6. November 2007 Leistungen nach dem SGB II i.H.v. 692,13 Euro. Auf Seite 2 des Bescheides ist aufgeführt: “Der Bescheid ergeht vorläufig.„ Weitere Angaben diesbezüglich enthält der Bescheid nicht. Dem Berechnungsbogen ist zu entnehmen, dass laufendes Einkommen aus Selbständigkeit i.H.v. 80,39 Euro berücksichtigt wurde. Aktenkundig ist weiter eine “Zwischenmitteilung„ vom selben Tag, in welcher ausgeführt ist, dass über den Leistungsantrag nur vorläufig entschieden werden kann, weil die Steuerbescheide 2006 und 2007 fehlen, welche bis zum 20. Dezember 2007 einzureichen seien. Andernfalls würde die Leistung mangels Mitwirkung ganz entzogen.
Im Rahmen der Bearbeitung der Leistungsanträge forderte der Beklagte den Kläger zur Vorlage von Kontoauszügen auf, welcher dieser im Juli 2008 für die Zeit ab Januar 2008 nachkam. Auf den Kontoauszügen waren zahlreiche Einnahmen und Ausgaben betreffend das Internet-Auktionshaus “…„ aufgeführt. Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache erklärte der Kläger am 8. August 2008, dass es sich dabei sämtlich um Privatauktionen handele. Am 12. August 2008 ersuchte der Beklagte gleichwohl im Wege der Amtshilfe das Hauptzollamt E. (HZA) um die Ermittlung aller …-Aktivitäten des Klägers seit Januar 2005. Das HZA erhielt am 17. Oktober 2008 von der … Internation...