Tobias Kocholl, Dominik Klehr
2.1 Die drei Stufen der Szenario-Modellierung
Die während der Corona-Krise entstandenen Szenario-Modelle sind (ebenso wie jene, die während der Finanzkrise 2008/2009 entstanden) häufig eine Art "Kopie" wesentlicher Key Performance Indicators (KPIs) und Gewinn- und Verlustrechnungsgrößen aus der letzten Planung. Diese werden auf Basis einer qualitativen "Case-Beschreibung" angepasst (z. B. "Low Growth Umfeld"). Dabei werden die einzelnen Größen isoliert verändert und Wechselwirkungen ohne direkte, mathematische Verknüpfungen und damit lediglich "lose" und implizit berücksichtigt.
Um einen wirklichen Mehrwert zu schaffen und um dafür zu sorgen, dass die Simulation keine abstrakte Übung i. S. v. einer isolierten Betrachtung von Einzelwerten bleibt, müssen die Veränderungen von Eingangsgrößen direkt mit den Auswirkungen auf die zentralen Steuerungsgrößen in einem Szenario verknüpft werden.
Um diese Verknüpfungen abzubilden, bieten sich Treibermodelle an, die idealerweise bereits im Rahmen der regulären Planung genutzt werden. Treibermodelle bilden unternehmensspezifisch die Auswirkung von operativen Eingangsgrößen auf die finanzielle Ergebnisrechnung ab.
Um ein Modell zur Simulation von Szenarien aufzubauen, bietet es sich an, dem von Kappes und Klehr (2021) eingeführten Stufenmodell zu folgen. Entlang von drei Stufen gewinnt die Modellierung zunehmend an Reife – bis zur Endstufe der Digitalisierung unter dem Einsatz von Prescriptive Analytics.
2.2 Evolutionsstufe 1
Das Grundmodell der Szenario-Modellierung besteht aus einem Base Case (z. B. letzte Planung oder besser: aktueller Forecast), der Weiterentwicklung des Base Cases durch das Treibermodell sowie wesentlicher Maßnahmen, die flexibel zu- oder abgeschaltet werden können. Über das Treibermodell werden die Wechselwirkungen und Verknüpfungen zwischen operativen Treibern und finanziellen Ergebnisgrößen abgebildet. Ein Szenario wird modelliert, in dem die Treiber gemäß bestimmter Annahmen verändert werden.
Anschließend werden Maßnahmen definiert, die im simulierten Kontext einen positiven Effekt auf die Ergebnisgrößen haben. Ein Szenario ist also immer eine Kombination aus weiterentwickeltem Base Case mittels Treiber und einem Set an ausgewählten Maßnahmen. Die Struktur der Maßnahmen folgt dabei dem definierten Treibermodell. So lässt sich der jeweilige Effekt sowie die Wirkung entlang des Treibermodells auf die Ergebnisrechnung abbilden. Idealerweise liegt je Maßnahme ein Business Case vor.
2.3 Evolutionsstufe 2
In der ersten Weiterentwicklung (2A) wird das Grundmodell um Automatisierungsfunktionen in Form von Predictive Analytics erweitert. Den Base Case bildet nun ein aktueller Forecast, der mittels Predictive Analytics weitgehend automatisiert und somit flexibel zum jeweiligen Zeitpunkt der Simulation erzeugt wird. Da weniger Aufwand für die Erzeugung des Base Cases benötigt wird, kann der Schwerpunkt auf die Modellierung der Treiber gemäß dem definierten Szenario und auf die Festlegung von Maßnahmen gelegt werden.
Abb. 1: Stufenmodell zum Aufbau von Szenario-Modellierung
Auf der nächsten Evolutionsstufe (2B) ist eine Erweiterung der Szenario-Modellierung um die Risikokomponente möglich. Neben operativen und finanziellen Treibern sowie Maßnahmen werden hier spezifische Risiken und deren Wirkung simuliert. Chancen und Risiken werden mittels stochastischer Verteilungsfunktionen (z. B. Normalverteilung oder Lognormalverteilung) modelliert und deren finanzielle Auswirkung auf die Ergebnisrechnung abgebildet. Mittels einer Monte-Carlo-Simulation kann das Risikomanagement im Gesamtunternehmenskontext in Form eines Gesamtrisikoportfolios für das Unternehmen analysiert werden.
2.4 Evolutionsstufe 3
Auf der dritten und letzten Ausbaustufe wird die Szenario-Modellierung um Optimierungsmodelle erweitert. Unter Anwendung von Prescriptive Analytics werden im Anschluss an die treiber- und maßnahmenbasierte Simulation hochautomatisiert Handlungsempfehlungen erzeugt. Aus der Kombination von Treibern, Maßnahmen sowie Chancen und Risiken werden das optimale Szenario festgelegt und die entsprechende Anwendung im Rahmen der Steuerung empfohlen. In dieser digitalen Endausbaustufe wird die Entscheidungsfindung in die Modellierung integriert.
In Kapitel 3 wird anhand eines realen Projektbeispiels aus der Beratung im produzierenden Gewerbe der Aufbau eines treiberbasierten Simulationsmodells der ersten Stufe mit Fokus auf die mathematische Verknüpfung der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) erörtert. Es werden 3 Fallbeispiele dargestellt, anhand derer die Modellierungsarbeit mit Szenarien verständlich wird.