[Ohne Titel]
Dr. Olaf Schermann, RA/FAErbR
Der folgende Beitrag gibt im Anschluss an die Darstellung in ErbStB 2021, 314 (Heft 10) einen Überblick über praxisrelevante höchst- und obergerichtliche Entscheidungen im Erbrecht, die im zweiten Halbjahr 2021 ergangen sind. Den Schwerpunkt bilden Entscheidungen zur Testamentserrichtung und -auslegung, zum Pflichtteilsrecht und zum Erbscheinsverfahren.
1. Testamentserrichtung und -auslegung
a) Formunwirksamkeit des "testamentum mysticum"
Eine Erbeinsetzung ist formunwirksam, wenn die Erben in einem eigenhändigen Testament erst durch Bezugnahme auf eine nicht die Testamentsform wahrende Anlage individualisierbar bestimmt werden. (red.)
BGH v. 10.11.2021 – IV ZB 30/20
BGB § 2247, § 2267
Beraterhinweis Nach § 2247 Abs. 1 BGB kann der Erblasser ein Testament durch eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung errichten. Um wirksam zu sein, müssen sämtliche Verfügungen des Erblassers diese Formanforderungen erfüllen. Zulässig ist es, wenn in einem Testament auf eine andere wirksame letztwillige Verfügung verwiesen wird (BGH v. 15.6.2010 – IV ZR 21/09, ZEV 2010, 364; Weidlich in Grüneberg, BGB, § 2247 Rz. 8). Auf Schriftstücke, die nicht der Testamentsform genügen, kann der Erblasser dagegen grundsätzlich nicht Bezug nehmen (sog. "testamentum mysticum"), weil es insoweit an einer den Vorschriften der § 9 Abs. 1 Satz 2 BeurkG, § 160 Abs. 5 ZPO vergleichbaren Regelung fehlt, welche die Bezugnahme auf eine beigefügte Anlage für zulässig erklärt. Dementsprechend ist eine Erbeinsetzung unter Bezugnahme auf eine handgeschriebene Liste namentlich aufgeführter Erben unwirksam, wenn die räumlich im Anschluss an das Testament abgefasste Liste nicht unterschrieben ist (OLG München v. 7.10.2010 – 31 Wx 161/10, MDR 2011, 235). Gleiches gilt, wenn im Testament auf ein maschinell erstelltes Schriftstück Bezug genommen wird (BayObLG v. 10.7.1979 – BReg. 1 Z 28/79, BayObLGZ 1979, 215; OLG Köln v. 6.10.2014 – 2 Wx 249/14, FamRZ 2015, 1529). Zulässig ist eine solche Bezugnahme allein zum Zwecke der näheren Erläuterung der testamentarischen Bestimmungen, weil es sich dann nur um die Auslegung des bereits formgültig erklärten, andeutungsweise erkennbaren Willens handelt (OLG Köln v. 6.10.2014 – 2 Wx 249/14, FamRZ 2015, 1529; Weidlich in Grüneberg, BGB, § 2247 Rz. 8). Für eine solche Andeutung des Erblasserwillens reicht allerdings die bloße Bezugnahme auf die formunwirksame Anlage allein nicht aus, denn die Anwendung der Andeutungstheorie kann nicht dazu führen, die Formnichtigkeit einer letztwilligen Verfügung zu überwinden.
b) Berücksichtigung von "Schwarzgeld" bei der Testamentsauslegung
1. Verfügt ein Erblasser in einem Testament über einzelne Vermögensgegenstände, die nach seiner Vorstellung sein wesentliches Vermögens ausmachen, so kann in Ermangelung von sonstigen Anhaltspunkten für eine individuelle Auslegung in Abweichung von der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB grundsätzlich von einer Erbeinsetzung ausgegangen werden. Von einer solchen Verfügung über das wesentliche Vermögen kann aber nicht mehr ausgegangen werden, wenn nach der Vorstellung des Erblassers der Wert der zugewendeten Gegenstände weniger als 80 % seines gesamten Vermögens beträgt. (amtl.)
2. Verfügt der Erblasser im Testament ausdrücklich über Geldanlagen bei zwei namentlich bezeichneten inländischen Banken, während auf einem Konto im Ausland angelegtes "Schwarzgeld" in erheblicher Höhe nicht erwähnt wird, kann ohne weitere konkrete Anhaltspunkte nicht davon ausgegangen werden, dass der Erblasser dieses dennoch stillschweigend von seiner Verfügung umfasst sehen wollte und nur deshalb nicht erwähnt hat, weil er das Konto im Ausland auch nach seinem Tod möglichst geheimhalten wollte. (red.)
OLG Frankfurt v. 1.7.2021 – 20 W 75/19
BGB § 133, § 2084, § 2087; FamFG § 352
Beraterhinweis Bei der Abgrenzung zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnis kommt es im Wesentlichen darauf an, ob der Erblasser dem Bedachten eine möglichst starke Stellung, also unmittelbare Rechte am Nachlass verschaffen und ihn mit der Verwaltung und Abwicklung des Nachlasses betrauen wollte oder ob er den Bedachten von der unmittelbaren Herrschaft über den Nachlass ausschließen und auf einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Erben beschränken wollte (BGH v. 12.7.2017 – IV ZB 15/16, NJW-RR 2017, 1035 = ErbStB 2018, 45 [Esskandari / Bick]; BayObLG v. 27.8.1985 – BReg. 1 Z 20/85, FamRZ 1986, 604; OLG Hamburg v. 6.10.2015 – 2 W 69/15, FamRZ 2016, 1808; Weidlich in Grüneberg, BGB, § 2087 Rz. 4). Wichtiger Anhaltspunkt für die Abgrenzung von Erbeinsetzung und Vermächtnis kann auch sein, wer nach dem Tode des Erblassers für Bestattung und Grabpflege sorgen soll, weil nach der Lebenserfahrung der Erblasser regelmäßig will, dass dies vom Erben übernommen wird (BayObLG v. 14.12.2000 – 1Z BR 95/00, FamRZ 2001, 1174; Weidlich in Grüneberg, BGB, § 2087 Rz. 4).
Die Zuwendung eines einzelnen Gegenstandes ist entgegen der Auslegungsegel des § 2087 Abs. 2 BGB dann als Erbeinsetzung anzusehen, wenn er praktisch den ganzen Nachla...