BMF, Schreiben vom 22.7.2022, IV A 3 – S 0338/19/10004 :007 (DOK 2022/0668147), BStBl I 2022, 1220
Aussetzung der Vollziehung und Ruhen von Rechtsbehelfsverfahren
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte in den Verfahren 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 mit am 18. August 2021 veröffentlichtem Beschluss vom 8. Juli 2021 (BGBl 2021 I S. 4303) entschieden, dass § 233a in Verbindung mit § 238 Absatz 1 Satz 1 AO mit Artikel 3 Absatz 1 GG unvereinbar ist, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2014 ein Zinssatz von 0,5 % pro Monat zugrunde gelegt wird. Die Unvereinbarkeitserklärung erstreckt sich ausdrücklich nicht auf die anderen Verzinsungstatbestände nach der AO zulasten der Steuerpflichtigen, namentlich auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235 und 237 AO. Die Entscheidung des BVerfG betrifft aber auch nicht die ausschließlich zugunsten der Steuerpflichtigen wirkenden Prozesszinsen nach § 236 AO und die Säumniszuschläge nach § 240 AO.
Für Verzinsungszeiträume bis zum 31. Dezember 2018 ist das bisherige Recht weiter anwendbar (Fortgeltungsanordnung). Für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 wurde der Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31. Juli 2022 eine rückwirkende Neuregelung der Vollverzinsung zu treffen. Diese Neuregelung wurde mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 12. Juli 2022 (BGBl 2022 I S. 1142) getroffen. Sie gilt für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 und ist rückwirkend in allen offenen Fällen anzuwenden. Offene Fälle sind neben künftigen Zinsfällen auch alle zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits beschiedenen, aber noch nicht abgeschlossenen Verwaltungsverfahren – anhängige Verfahren – (vgl. BFH-Urteil vom 21. Februar 1991, V R 25/87, BStBl 1991 II S. 496). Anhängige Verfahren sind Verwaltungsverfahren, in denen
- die Zinsfestsetzung nach § 164 Absatz 1 AO oder § 239 Absatz 4 AO noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht,
- die Zinsen (ganz oder teilweise) nach § 165 Absatz 1 Satz 2 AO vorläufig festgesetzt worden sind,
- die Zinsfestsetzung nach § 165 Absatz 1 Satz 4i. V. m. Absatz 1 Satz 2 AO ausgesetzt ist oder
- aufgrund eines außergerichtlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfs noch keine Unanfechtbarkeit eingetreten ist.
Die Steuerverwaltungen der Länder können die Neuberechnung der Zinsen in anhängigen Verfahren und die Umstellung der Zinsberechnungsprogramme aufgrund der damit verbundenen erheblichen technischen und organisatorischen Auswirkungen allerdings nicht sofort nach Inkrafttreten der Neuregelungen umsetzen.
Für die Zwischenzeit enthält Artikel 97 § 15 Absatz 16 EGAO deshalb eine Übergangsregelung: Solange die Neuregelung in § 238 Absatz 1a und 1b AO technisch und organisatorisch noch nicht umgesetzt werden kann, können Zinsfestsetzungen nach § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 ungeachtet der am 22. Juli 2022 in Kraft getretenen Neuregelungen weiterhin vorläufig ergehen oder ausgesetzt werden (Artikel 97 § 15 Absatz 16 EGAO in Verbindung mit § 165 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 und Satz 4 sowie Absatz 2 AO).
Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt ab dem 22. Juli 2022 daher bis auf Weiteres Folgendes:
I. Erstmalige Zinsfestsetzungen nach § 233a AO
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Sämtliche erstmalige Festsetzungen von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 sind gemäß Artikel 97 § 15 Absatz 16 EGAO in Verbindung mit § 165 Absatz 1 Satz 4 und Satz 2 Nummer 2 AO weiterhin auszusetzen. |
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Aussetzung der Zinsfestsetzung bedeutet, dass die für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 anfallenden Nachzahlungs- oder Erstattungszinsen vorerst nicht festgesetzt werden. Die ausgesetzte Zinsfestsetzung ist nachzuholen, sobald und soweit die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Anwendung von § 238 Absatz 1a und 1b AO vorliegen. |
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Für Verzinsungszeiträume bis zum 31. Dezember 2018 anfallende Nachzahlungs- und/oder Erstattungszinsen nach § 233a AO sind hingegen – endgültig – festzusetzen. Unter Verzinsungszeiträumen bis zum 31. Dezember 2018 sind hierbei nur volle Zinsmonate zu verstehen, die spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2018 enden. |
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In betroffene Zinsbescheide ist folgender Erläuterungstext aufzunehmen: „Die Festsetzung von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 ist gemäß Artikel 97 § 15 Absatz 16 EGAO in Verbindung mit § 165 Absatz 1 Satz 4 und Satz 2 Nummer 2 AO ausgesetzt. Die Aussetzung der Zinsfestsetzung erfolgt, weil die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Anwendung der vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 8. Juli 2021, 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, BGBl 2021 I S. 4303, geforderten Neuregelungen zur Vollverzinsung noch nicht vorliegen. Sobald diese Voraussetzungen vorliegen, wird die Festsetzung von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen geprüft und gegebenenfalls nachge... |