Leitsatz
1. Den Steuerberater trifft ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden von Tatsachen, die Voraussetzung für die Gewährung eines Entlastungsbetrags für Alleinerziehende sind, wenn er dem steuerlich unerfahrenen Steuerpflichtigen lediglich eine komprimierte Einkommensteuererklärung zur Prüfung aushändigt, ohne den für die Abgabe einer vollständigen Steuererklärung maßgebenden Sachverhalt zu ermitteln, und dem Steuerpflichtigen damit die Möglichkeit nimmt, die darin enthaltenen Angaben auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu prüfen.
2. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Ausdruck der komprimierten Steuererklärung auf die Verwendung des Programms "ELSTER" zurückzuführen ist.
Normenkette
§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 24b EStG
Sachverhalt
Der Kläger ist Vater einer Tochter, die im Streitjahr 2007 in seiner Wohnung lebte und für die ihm Kindergeld zustand. Mit der Mutter des Kindes war er nicht verheiratet; im Streitjahr bestand mit ihr keine Haushaltsgemeinschaft mehr, sodass er den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende beanspruchen konnte.
Der Steuerberater fertigte die Erklärung anhand der Angaben des Klägers und legte die mithilfe des Programms "ELSTER" erstellte, komprimierte Einkommensteuererklärung dem Kläger zur Prüfung vor. Die komprimierte Erklärung enthielt keine Rubriken – und damit auch keine Eintragungen – zum Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, wie sie in dem amtlichen Vordruck ("Anlage Kind") vorgesehen sind, da dem StB die Beendigung der Haushaltsgemeinschaft nicht bekannt war. Der darauf ergangene Einkommensteuerbescheid vom 9.3.2009 wurde bestandskräftig.
Am 3.8.2009 beantragte der Kläger die Änderung dieses Einkommensteuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Bei der Erstellung der Einkommensteuererklärung des Folgejahres 2008 sei dem Berater aufgefallen, dass die "Anlage Kind" für das Streitjahr unvollständig ausgefüllt worden sei, da er seit Dezember 2006 von der Mutter seines Kindes getrennt lebe und deshalb alleinerziehend sei. Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass die Tatsache der Alleinerziehung zu einer steuerlichen Entlastung führen könne.
Das Niedersächsische FG verneinte ein grobes Verschulden des Klägers am nachträglichen Bekanntwerden der räumlichen Trennung des Klägers von der Mutter seines Kindes und gab der Klage statt (Urteil vom 24.5.2011, 3 K 249/10, Haufe-Index 2740101, EFG 2011, 1677).
Entscheidung
Der BFH war strenger, hob das FG-Urteil auf und wies die Klage ab, weil sich der Kläger das Verschulden seines Beraters aufgrund der Überlassung der komprimierten Erklärung zurechnen lassen muss.
Hinweis
Das Urteil zeigt, dass die Inanspruchnahme professioneller Hilfe auch Risiken birgt.
1.§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erlaubt die Änderung oder Aufhebung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel zugunsten des Steuerpflichtigen, soweit diesen am nachträglichen Bekanntwerden kein grobes Verschulden trifft.
2. Fertigt der Stpfl. seine Erklärung selbst, dann handelt er grob fahrlässig, wenn er eine unvollständige Steuererklärung abgibt. Das gilt unabhängig davon, ob die Erklärung elektronisch oder in Papierform übermittelt wird (BFH, Urteil vom 20.3.2013, VI R 5/11, BFH/NV 2013, 1142, BFH/PR 2013, 295). Der BFH ist aber gnädig, wenn die Unvollständigkeit auf rechtsirrtümlicher Unkenntnis steuerrechtlicher Vorschriften beruht und die Erklärungsvordrucke oder der Hilfstext zu ELSTER keine ausreichenden Erläuterungen enthielten, z.B. weil die Mutter eines gemeinsamen Kindes nicht im Zusammenhang mit "Unterhalt für bedürftige Personen" genannt wird (BFH, Urteil vom 20.3.2013, VI R 9/12, BFH/NV 2013, 1143, BFH/PR 2013, 293).
3. Lässt der Stpfl. seine Erklärung durch einen StB erstellen, dann kann sein eigenes grobes Verschulden darin liegen, dass er die von seinem Berater angefertigte Steuererklärung nicht auf Richtigkeit und Vollständigkeit durchsieht und ihm dadurch entgeht, dass steuermindernde Tatsachen unberücksichtigt geblieben sind.
4. Lässt der Stpfl. seine Erklärung durch einen StB erstellen, dann muss er sich auch dessen Verschulden zurechnen lassen. Praktische Probleme ergeben sich dann naturgemäß nicht aus unzureichenden Steuerrechtskenntnissen, sondern infolge des für die Sachverhaltsermittlung nötigen Aufwands: Die vom Berater gefertigte Erklärung enthält die steuermindernden Tatsachen nicht, weil der steuerrechtsunkundige Mandant sie ihm nicht mitgeteilt hat.
Der BFH erkennt jedoch ein grobes Verschulden des Beraters, wenn dieser dem steuerlich unerfahrenen Mandanten nur die komprimierte Einkommensteuererklärung zur Prüfung überlässt, ohne den für die Abgabe einer vollständigen Steuererklärung maßgebenden Sachverhalt zu ermitteln, weil er dadurch dem Mandanten die Möglichkeit der Kenntnisnahme eines im Formular vorgesehenen Entlastungsbetrags nimmt. Denn der steuerliche Berater trägt die Verantwortung dafür, dass die in der von ihm erstellten komprimierten Steuererklärung aufgeführten Angaben des Steuerpflichtigen vollständig sind.
Für diese Beurteilung ...