Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
1. Wird Vorsorgekapital, das zugunsten eines Grenzgängers bei einer Versorgungseinrichtung durch als Arbeitslohn zu qualifizierende Arbeitgeberbeiträge gebildet wurde, von einer Versorgungseinrichtung auf eine andere Versorgungseinrichtung übertragen, ist diese Übertragung nicht erneut als Arbeitslohn anzusehen.
2. Bei einer derartigen Übertragung kann es hinsichtlich möglicher übriger Einkunftstatbestände am Zufluss fehlen.
Normenkette
§§ 11 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, Art. 3 Abs. 2 DBA-Schweiz, § 155 FGO, § 560 ZPO
Sachverhalt
Arbeitnehmer K, in Deutschland wohnhaft, arbeitete seit Jahren als Grenzgänger in der Schweiz. Zugunsten seiner beruflichen Altersvorsorge leistete sein Arbeitgeber an die schweizerischem Recht unterliegende Versorgungseinrichtung V Beiträge, mit denen K eigene Versorgungsansprüche gegen V erlangte. Ende 2001 endete Ks Arbeitsverhältnis. Nach schweizerischem Recht entstand deshalb zu Ks Gunsten ein Anspruch auf Zahlung des für K bei V bestehenden Vorsorgekapitals. Da K in eine neue, ebenfalls schweizerischem Recht unterliegende Versorgungseinrichtung (nV) wechselte, war V gesetzlich zur Übertragung des Vorsorgekapitals auf nV verpflichtet. K konnte wählen zwischen Überweisung auf ein sog. Freizügigkeitskonto bei einem Kreditinstitut oder der Einrichtung einer Versicherungspolice bei einem Versicherer. Beides musste aber allein und unwiderruflich der Vorsorge dienen, nV musste den Vorsorgeschutz garantieren. K konnte weder Barauszahlung noch eine Verwendung zum Erwerb von Wohneigentum beanspruchen und den Anspruch weder abtreten noch verpfänden. Nachdem V das Vorsorgekapital auf ein für K eingerichtetes Freizügigkeitskonto bei nV übertragen hatte, behandelte das FA diese Übertragung als steuerpflichtigen Arbeitslohn. Die Klage dagegen war erfolgreich (FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Urteil vom 17.12.2009, 3 K 154/07, Haufe-Index 2341843).
Entscheidung
Der BFH bestätigte aus den unter den Praxis-Hinweisen erläuterten Erwägungen die Entscheidung des FG.
Hinweis
Grenzgänger K war in Deutschland als Arbeitnehmer zu besteuern. Das Besprechungsurteil handelt allerdings insbesondere von der lohnsteuerrechtlichen Frage, ob K Lohn zufließt, wenn sein Vorsorgekapital vom einen auf den anderen schweizerischen Versicherer übergeht.
1. Wenn die Arbeitgeberbeiträge zur Zukunftssicherung Lohn sind, führen die damit erbrachten Versicherungsleistungen nicht erneut zu Arbeitslohn. Im Übrigen war hier K auch nichts zugeflossen. Zufluss verlangt wirtschaftliche Verfügungsmacht über das Gut, also grundsätzlich die Erfüllung des Anspruchs. Ansprüche oder Rechte allein genügen noch nicht (BFH, Urteil vom 29.7.2010, VI R 30/07, BFH/NV 2010, 2333, BFH/PR 2011, 12). Ob tatsächlich wirtschaftliche Verfügungsmacht erlangt wurde, ist eine Frage der Tatsachenfeststellung und -würdigung, die dem FG obliegt (vgl. etwa BFH, Urteil vom 30.6.2011, VI R 37/09, BFH/NV 2011, 1949, BFH/PR 2011, 443).
2. Das FG hatte hier in ausführlicher und umfassender Sachverhaltsermittlung festgestellt, dass das Vorsorgekapital von der einen auf die andere Versorgungseinrichtung übertragen werden musste, Ks Ansprüche daran weder verpfändbar noch abtretbar waren und K weder Barauszahlungsansprüche noch sonstige Verwendungsansprüche hatte. Die darauf aufbauende Würdigung des FG, angesichts dieser tatsächlichen und rechtlichen Beschränkungen fehlte es an den wesentlichen Befugnissen eines Rechtsinhabers, war revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
3. Beachten Sie: Verfügungsbeschränkungen sind zwar für den Zufluss grundsätzlich unbeachtlich. Aber das sind Fälle, in denen der Steuerpflichtige nahezu sämtliche Befugnisse eines Vollrechtsinhabers hat (z.B. BFH, Urteil vom 30.9.2008, VI R 67/05, BFH/NV 2009, 267, BFH/PR 2009, 132); die Verfügungssperren sind zwar sanktionsbewehrt, rechtlich aber überwindbar. Davon war hier nicht auszugehen. Ein anderes Beispiel bietet das Urteil zur Übertragung amerikanischer Aktien, die unterlagen Verfügungsbeschränkungen (BFH/PR 2011, 443).
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 13.11.2012 – VI R 20/10