Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Leitsatz
Die in § 73 AO angeordnete Haftung der Organgesellschaft für Steuerschulden des Organträgers erstreckt sich nicht auf steuerliche Nebenleistungen. Wird in einem bestandskräftigen Abrechnungsbescheid mitgeteilt, dass ein Anspruch erloschen ist, kann der Abrechnungsbescheid nur unter den Voraussetzungen der §§ 129 bis 131 korrigiert werden.
Sachverhalt
Der Kläger schuldete dem Finanzamt als Organträger Umsatzsteuer und Zinsen zur Umsatzsteuer für 2004 und 2005. Derentwegen nahm das Finanzamt die E-GmbH als Organgesellschaft nach § 191 AO i. V. m. § 73 AO in Haftung. Es rechnete gegenüber der E-GmbH gegen deren Erstattungsansprüche auf und schrieb die Beträge dem Steuerkonto des Klägers gut. Am 10.6.2009 rechnete das Finanzamt gegenüber dem Kläger ab und teilte ihm mit, dass das Umsatzsteuerkonto für 2004 und 2005 ausgeglichen und erledigt sei.
In der Folge hob das Finanzamt den Haftungsbescheid gegenüber der E-GmbH insoweit auf als er die Haftungsinanspruchnahme für Zinsen zur Umsatzsteuer betraf und zahlte die entsprechenden Zinsen "zu Lasten des Steuerkonto des Klägers" an die Organgesellschaft aus. Am 24.9.2010 erließ es gegenüber dem Kläger einen weiteren Abrechnungsbescheid über die nunmehr offenen Zinsen zur Umsatzsteuer 2004 und 2005.
Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das Finanzamt als unbegründet zurück. Es ist der Auffassung, dass die Inanspruchnahme der E-GmbH als Haftungsschuldnerin hinsichtlich der Zinsen zur Umsatzsteuer rechtswidrig gewesen sei, weshalb auch keine Aufrechnungslage bestanden habe. Das habe das Aufleben der Zinsforderung gegenüber dem Kläger nach sich gezogen. Der Abrechnungsbescheid vom 24.9.2010 sei daher rechtmäßig.
Entscheidung
Das FG ist anderer Meinung und hat den Abrechnungsbescheid vom 24.8.2010 über Zinsen zur Umsatzsteuer für 2004 und 2005 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung aufgehoben. Es begründet dies mit einer fehlenden rechtlichen Grundlage der Änderung des Abrechnungsbescheides vom 10.6.2009 zu Ungunsten des Klägers.
Wird ein Abrechnungsbescheid wie derjenige vom 10.6.2009 bestandskräftig, so ist er für das künftige Steuerschuldverhältnis verbindlich. Seine Korrektur richtet sich ausschließlich nach den §§ 129 bis 131 AO.
Die Organgesellschaft haftet nicht nach § 73 AO für Zinsen, denn die dort angeordnete Haftung erstreckt sich nicht auf steuerliche Nebenleistungen. Dies nicht zu erkennen kann durchaus auf einem Rechtsanwendungsfehler beruhen. Diese Möglichkeit schließt die Anwendung des § 129 Satz 1 AO aus. Da auch die Voraussetzungen für die Rücknahme oder den Widerruf des bestandskräftigen Abrechnungsbescheides nicht vorlagen, war dem Klagebegehren zu entsprechen.
Hinweis
Durch einen Abrechnungsbescheid wird darüber entschieden, ob ein bestimmter Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis verwirklicht ist oder nicht, d. h. insbesondere ob der Schuldner des Anspruchs wirksam gezahlt hat, ob der Anspruch infolge Aufrechnung, Erlass oder Verjährung erloschen ist. Die bestandskräftigen Feststellungen des Abrechnungsbescheides binden Adressaten und Finanzbehörden gleichermaßen.
Link zur Entscheidung
FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 15.08.2012, 3 K 480/11