Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Tritt der den doppelten Haushalt führende Ehegatte die wöchentliche Familienheimfahrt aus privaten Gründen nicht an, sind die Aufwendungen für die stattdessen durchgeführte Besuchsfahrt des anderen Ehegatten zum Beschäftigungsort keine Werbungskosten.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 S. 1, 3 Nr. 5 EStG, Art. 6 GG
Sachverhalt
Die Eheleute M und F lebten in A. M war in A selbstständig tätig. F war als leitende Angestellte in B nicht selbstständig beschäftigt und hatte dort auch eine Wohnung. An den Wochenenden reiste F entweder mit dem Kfz oder dem Flugzeug nach A. M besuchte F ebenfalls mehrfach in B. F machte Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung in B geltend. Das FA berücksichtigte insoweit die Unterkunfts-, Fahrt- und Flugkosten, aber nicht die als Werbungskosten geltend gemachten Aufwendungen des M für dessen Reisen nach B. Einspruch und Klage blieben erfolglos (FG Köln, Urteil vom 27.01.2010, 4 K 2882/07, Haufe-Index 2360964, EFG 2010, 1683).
Entscheidung
Der BFH bestätigte, wie unter Praxis-Hinweisen dargestellt, die Entscheidung des FG.
Hinweis
Gegenstand des Besprechungsfalls war die "umgekehrte Familienheimfahrt". Die liegt vor, wenn nicht der am Beschäftigungsort tätige Ehegatte zum Familienwohnsitz zurückkehrt, sondern stattdessen der am Familienwohnsitz wohnende andere Ehegatte seinen am Beschäftigungsort tätigen Gatten besucht. Die einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung dieses Sachverhalts prüfte der BFH unter drei Aspekten, nämlich im Hinblick auf die Spezialnorm für Familienheimfahrten (1.), im Hinblick auf die allgemeine Grundnorm des Werbungskostenabzugs (2.) sowie schließlich im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG (3.).
1. Nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 EStG gehören zu den Werbungskosten – den durch den Beruf des Steuerpflichtigen veranlassten Aufwendungen – auch notwendige Mehraufwendungen wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung. Dazu rechnen auch (vgl. S. 3) die Aufwendungen für die Wege vom Beschäftigungsort zum Ort des eigenen Hausstandes und zurück (Familienheimfahrten), die aber jeweils nur für eine Familienheimfahrt wöchentlich abziehbar sind. Solche lagen hier nicht vor, daher kam auch kein Abzug auf dieser Grundlage in Betracht.
2. Ms Reisekosten nach B ließen sich auch nicht als Werbungskosten i.S.d. § 9 Abs. 1 S. 1 EStG begreifen. Denn das FG hatte festgestellt, dass F die Familienheimfahrten aus privaten Gründen nicht angetreten hat. Damit fehlte ein beruflicher Veranlassungszusammenhang, der im Rahmen der doppelten Haushaltsführung hätte berücksichtigt werden können. Offengelassen hatte der BFH, ob dann, wenn F aus beruflichen Gründen die wöchentliche Familienheimfahrt nicht angetreten hätte, ein Werbungskostenabzug in Betracht gekommen wäre.
3. Die einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung der doppelten Haushaltsführung steht im Fall beiderseits berufstätiger Ehegatten nicht zur beliebigen Disposition des Gesetzgebers. Das ist die Lehre aus dem Beschluss des BVerfG (BVerfG, Beschluss vom 04.12.2002, 2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, 27). Von Verfassungs wegen ist zu berücksichtigen, dass die dadurch veranlassten Aufwendungen für die Eheleute nicht frei disponibel sind. Diesen Grundsätzen ist aber nach Auffassung des BFH noch entsprochen, wenn § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 S. 3 EStG nur die Familienheimfahrten zum Lebensmittelpunkt der Ehegatten berücksichtigt. Auf dieser Grundlage bleibt eine Reise an den Beschäftigungsort des Ehegatten ungeachtet der doppelten Haushaltsführung eine private Wochenendreise.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 02.02.2011, VI R 15/10