Leitsatz
1. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL erfasst auch Unterrichtseinheiten, die sich auf Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung beziehen. Die Anforderungen, die der EuGH an die Steuerfreiheit des Schul- und Hochschulunterrichts stellt, gelten hierfür nicht.
2. Umsätze einer Supervisorin können nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL steuerfrei sein.
Normenkette
§ 4 Nr. 14, Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb, Nr. 22 Buchst. a UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)
Sachverhalt
Eine Supervisorin erbrachte im Jahr 2014 (Streitjahr) Supervisionsleistungen. Sie schulte im Auftrag verschiedener Arbeitgeber die bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmer, um ihnen im beruflichen Alltag erforderliche Kompetenzen zu vermitteln. Diese Umsätze erklärte sie in voller Höhe nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei.
Das FA vertrat die Auffassung, dass die Supervisionsleistungen weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht steuerfrei seien.
Das FG (FG Münster, Urteil vom 12.3.2019, 15 K 1768/17 U, Haufe-Index 13053531, EFG 2019, 936) gab der Klage statt. Die Supervisionsleistungen der Klägerin seien nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL steuerfrei. Es handele sich um Schul- bzw. Hochschulunterricht. Die Klägerin sei auch als Privatlehrerin tätig.
Entscheidung
Der BFH wies – einstimmig – die Revision als (im Ergebnis) unbegründet zurück. Die Supervisionsleistungen seien zwar weder Heilbehandlungen, wie die Klägerin zunächst meinte, noch Schul- oder Hochschulunterricht, wie das FG annahm. Es handelt sich aber aus Sicht des BFH um Unterrichtseinheiten, die sich auf Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung beziehen.
Hinweis
Mit dem Besprechungsurteil setzt der BFH die "Bewältigung" der EuGH-Entscheidungen A & G Fahrschul-Akademie,EuGH, Urteil vom 14.3.2019, C-449/17 (EU:C:2019:202, BFH/NV 2019, 511), Finanzamt Hamburg-Barmbek-Uhlenhorst,EuGH, Beschluss vom 7.10.2019, C-47/19 (EU:C:2019:840, BFH/NV 2020, 78) sowie Dubrovin & Tröger – Aquatics,EuGH, Urteil vom 21.10.2021, C‐373/19 (EU:C:2021:873, BFH/NV 2021, 1629) fort. Es zeigt sich einmal mehr, dass die Steuerbefreiung der Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL von ihrem Anwendungsbereich weit weniger eingebüßt hat als zunächst angenommen oder befürchtet.
1. Konkret bestätigt der BFH die Steuerbefreiung von Supervisionsleistungen, die eine Supervisorin an – in der Pflege tätige Arbeitnehmer (im Auftrag des Arbeitgebers) – erbracht hatte, um im beruflichen Alltag erforderliche Kompetenzen zu vermitteln. Der BFH nahm an, dass es sich dabei um Unterrichtseinheiten handelt, die sich auf Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung beziehen. Sie sind nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL steuerfrei, obwohl in dessen Wortlaut die Aus- und Fortbildung nicht genannt ist (vgl. dazu auch BFH, Urteil vom 20.3.2014, V R 3/13, Rz. 19 f., BFH/NV 2014, 1175; BFH, Urteil vom 24.1.2019, V R 66/17, Rz. 10, BFH/NV 2019, 593).
2. Ebenfalls weiter steuerfrei sind die Erziehung von Kindern und Jugendlichen und damit eng verbundene Dienstleistungen, wobei die Reichweite dieser Begriffe noch nicht mit letzter Sicherheit feststeht (vgl. BFH, Urteil vom 15.12.2021, XI R 3/20, Rz. 30 ff., BFH/NV 2022, 1010). Mittlerweile ist diese Steuerbefreiung in § 4 Nr. 23 UStG umgesetzt.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 22.6.2022 – XI R 32/21 (XI R 6/19)