Leitsatz
Der Begriff "Schul- und Hochschulunterricht" i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL umfasst nicht den von einer Schwimmschule erteilten Schwimmunterricht (Änderung der BFH-Rechtsprechung, Folgeentscheidung zum EuGH-Urteil Dubrovin & Tröger – Aquatics vom 21.10.2021 – C‐373/19).
Normenkette
§ 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb, Nr. 22 Buchst. a UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GbR, betreibt eine Schwimmschule. Die GbR führte im Wesentlichen Kurse für Kinder ("Goldfisch", "Seepferdchen" und "Kaulquappe") durch, die von den Kursteilnehmern oder deren Eltern vergütet wurden. Beim Schwimmkurs "Kaulquappe" wurden Kindern ab vier Jahren die Grundlagen der Brust- und Rückenschwimmlage vermittelt. Bei den beiden weiterführenden Kursen "Seepferdchen" und "Goldfisch" wurden die erlernten Grundlagen und Techniken des Schwimmens vertieft. Die Klägerin sah ihre Leistungen als steuerfrei an, was das FA verneinte. Die Klage zum FG war erfolgreich (FG München, Urteil vom 13.9.2018, 3 K 1868/17, Haufe-Index 12204835, EFG 2018, 1120).
Entscheidung
Der BFH ersuchte im Streitfall den EuGH um Vorabentscheidung, was zum Urteil Dubrovin & Tröger – Aquatics (EuGH, Urteil vom 21.10.2021, C‐373/19, EU:C:2021:873) führte. Dem schloss sich der BFH unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung an, hob das Urteil des FG auf und wies die Klage ab.
Hinweis
1. Schwimmkurse, die ein Unternehmer als Einzelunternehmer oder als Personengesellschaft gegen Entgelt erteilt, können im nationalen Recht nur unter den im Regelfall nicht vorliegenden Voraussetzungen des § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG steuerfrei sein. Erforderlich ist hierfür insbesondere eine Bescheinigung, nach der derartige Kurse auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten. Fehlt es an einer kursbegleitenden Schwimmprüfung oder wird diese vor einem Verein abgelegt, besteht danach keine Steuerfreiheit.
2. Damit stellt sich die Frage, ob derartige Unterrichtsleistungen nach dem Unionsrecht steuerfrei sein können. In Betracht kommen hierfür die Steuerbefreiungen für den Schul- und Hochschulunterricht nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), die unternehmerbezogen zudem eine Anerkennung verlangen (Buchst. i) oder auf die Eigenschaft des Leistenden als Privatlehrer (Buchst. j) abstellen.
a) Der BFH hatte eine derartige Steuerfreiheit für Privatlehrer zunächst bejaht (BFH, Urteil vom 5.6.2014, V R 19/13, BFH/NV 2014, 1687), ohne dass die Finanzverwaltung dem gefolgt ist. Maßgeblich war für den BFH, dass an der Erlernung der Fähigkeit, schwimmen zu können, zum einen ein hohes Gemeinwohlinteresse besteht und zum anderen die Erlangung dieser Fähigkeit auch in öffentlichen Schulen unterrichtet wird.
b) Ob hieran festzuhalten ist, war im Hinblick auf ein später ergangenes Urteil, in dem der EuGH erstmals den Unterrichtsbegriff sehr einschränkend ausgelegt hatte (EuGH, Urteil A & G Fahrschul-Akademie vom 14.3.2019, C‐449/17, EU:C:2019:202, BFH/NV 2019, 511), fraglich geworden. Danach muss der steuerfreie Unterricht der Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen dienen.
c) Daher richtete der BFH an den EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen (BFH, Beschluss vom 27.3.2019, V R 32/18, BStBl II 2019, 457), das der EuGH mit seinem Urteil Dubrovin & Tröger – Aquatics (EuGH, Urteil vom 21.10.2021, C‐373/19, EU:C:2021:873, BFH/NV 2021, 1629) beantwortet hat. Danach umfasst der Begriff "Schul- und Hochschulunterricht" i.S.v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j EGRL 112/2006 (= MwStSystRL) nicht den von einer Schwimmschule erteilten Schwimmunterricht. Der EuGH begründet dies damit, dass der Schwimmunterricht ein spezialisierter, punktuell erteilter Unterricht ist, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt.
d) Dem schließt sich der BFH jetzt für den Bereich des Schwimmunterrichts an und entscheidet daher entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung, dass dieser kein nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j EGRL 112/2002 (= MwStSystRL) steuerfreier Unterricht ist. Im Hinblick auf die Kompetenzverteilung zwischen EuGH und BFH ist es dabei ohne Bedeutung, dass der Schwimmunterricht aus Sicht des BFH zur Erlernung einer elementaren Grundfähigkeit dient, über die jeder Mensch – insbesondere zur Bewältigung von Notsituationen beim Kontakt mit Gewässern – verfügen sollte.
3. Damit stellen sich weitergehende Fragen.
a) So wird insbesondere zu entscheiden sein, ob die einschränkende Unterrichtsdefinition des EuGH im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung auch zu einer Einschränkung der nationalen Befreiungstatbestände in § 4 Nr. 21 Buchst. a UStG und § 4 N...