Getrennte Prüfung der Tatbestandsmerkmale: Zutreffend ist u.E. daher das oben unter III.3. dargestellte Verständnis, dass zwar fingiert wird, dass zwei Leistungen mit gleichem Leistungsinhalt erbracht werden (fingiert werden also die Vertragsbeziehungen), die steuerliche Behandlung beider Leistungen aber getrennt zu ermitteln ist. Es ist dann eben für jede der beiden Leistungen auf Grundlage der Art der Leistung nicht nur separat zu ermitteln, wo der Leistungsort ist, sondern auch ob die Leistung steuerpflichtig oder steuerfrei ist, wann sie als ausgeführt gilt, wann die Steuer entsteht, wer Steuerschuldner ist etc.
"Henfling-Urteil" des EuGH: Das entspricht auch dem Wortlaut der Vorschriften und dem Verständnis des Gerichtshofs. So hat der EuGH in der grundlegenden Entscheidung zur Leistungskommission, dem Henfling-Urteil, ausgeführt, die Vorschrift des Art. 28 MwStSystRL begründe die juristische Fiktion zweier gleichartiger Dienstleistungen, die nacheinander erbracht würden. Gemäß dieser Fiktion werde der Wirtschaftsteilnehmer, der bei der Erbringung von Dienstleistungen hinzutrete (Kommissionär), so behandelt, als ob er zunächst die fraglichen Dienstleistungen von dem Wirtschaftsteilnehmer, für dessen Rechnung er tätig werde (Kommittent), erhalten hätte und anschließend diese Dienstleistungen dem Kunden selbst erbrächte. Da die Vorschrift des Art. 28 MwStSystRL unter die Regelungen der Richtlinie zu "steuerbaren Umsätzen" falle (also zwei Umsätze kreiere) und keine Beschränkungen in Bezug auf ihren Anwendungsbereich oder ihre Tragweite enthalte, gelte ihre Wirkung auch für die Anwendung einer Steuerbefreiung. Ist also ein Umsatz, der in zwei (fingierte) Leistungen aufgespalten wird, (wie in dem dem EuGH vorgelegten Fall) seinem Leistungsinhalt nach steuerfrei, gilt dies für beide (fingierten) Umsätze.
Keine weiteren Ausführungen erforderlich: Da im vorliegenden Fall weder der Leistungsort in Frage stand noch die Beurteilung personenbezogener Merkmale (es ging "lediglich" um die Steuerbefreiung von Wetten, Lotterien und sonstigen Glücksspielen mit Geldeinsatz), brauchte der EuGH keine weiteren Ausführungen zu machen. Es reichte aus, dass der Leistungsinhalt der beiden fiktiven Leistungen in "Wetten, Lotterien und sonstigen Glücksspielen mit Geldeinsatz" bestand und somit die Steuerbefreiung des Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL auf beide Leistungen anzuwenden war.
Anwendung der mehrwertsteuerlichen Vorschriften: Dieses Verständnis der steuerlichen Behandlung der Kommissionärsstruktur ist auch in der Durchführung unproblematisch und es ist nicht ersichtlich, dass hiermit gegen grundlegende Prinzipien des Mehrwertsteuerrechts verstoßen wird. Im Gegenteil – es trägt dazu bei, dass die grundlegenden Prinzipien des Mehrwertsteuerrechts mit Blick auf die o.g. Kriterien (Leistungsort, Steuerpflicht/-freiheit, Leistungszeitpunkt, Steuerentstehung, Steuerschuldnerschaft, persönliche Besteuerungsmerkmale etc.) wirksam umgesetzt werden.
Ähnlich bei Einzweckgutscheinen: Ähnlichkeiten mit den Kommissionärsregelungen ergeben sich bei der mehrwertsteuerlichen Behandlung von Einzweckgutscheinen. Einzweckgutscheine liegen vor, wenn der Ort und der Steuersatz des Umsatzes, auf den sich der jeweilige Gutschein bezieht (also die Leistung an den EV, der den Gutschein einlöst), feststehen (Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL). Wird ein Einzweckgutschein – z.B. für den Verkauf digitaler Inhalte an inländische EV, dessen Ort sich nach § 3a Abs. 5 UStG bestimmt – vor dem Verkauf an den ihn einlösenden EV in einer Vertriebskette über mehrere Steuerpflichtige gehandelt (z.B. Aussteller A => Händler B => Händler C => EV) wird, ähnlich wie bei den Kommissionärsregelungen, gem. Art. 30b Abs. 1 MwStSystRL die Art der Leistung fingiert, so dass drei Verkäufe digitaler Inhalte (A an B, B an C und C an EV) getätigt werden. Die Fiktion betrifft aber nicht die sonstigen Tatbestandsmerkmale. So ist bspw. der Leistungsort für jeden Umsatz separat zu ermitteln (er richtet sich also bei den Verkäufen an B und an C nach § 3a Abs. 2 UStG). Ebenso sind der Steuersatz, der Steuerschuldner, der Leistungszeitpunkt etc. separat zu ermitteln.