Eine andere Auslegung der Kommissionärsregelungen als die unter IV. dargestellte, würde vor allem ganz offensichtlich dem Verständnis des Richtliniengebers widersprechen.
1. Europaweiter Vertrieb durch Kommissionäre
Bsp. Vertrieb von Waren in der EU: Dies zeigt sich bereits an dem relativ einfachen (in der Praxis nicht unüblichen) Beispiel, dass ein (im Inland ansässiges) Produktionsunternehmen P (Konzernmutter) Waren, die es in Deutschland herstellt, über Vertriebstochtergesellschaften V in den anderen MSen auf Kommissionsbasis an in den jeweiligen Ländern ansässige unternehmerische Kunden verkauft (die verkauften Waren werden dann von P unmittelbar an die Kunden versandt).
2. Ergebnis bei Gleichbehandlung mit "vermitteltem" Umsatz
Innergemeinschaftliche Lieferungen ohne ...: Die (direkten) Lieferungen der Waren von P an die Kunden wären innergemeinschaftliche Warenlieferungen. P würde also ohne "Hinzutreten" des V steuerfreie Lieferungen in Deutschland ausführen (Art. 14 Abs. 1, Art. 32, Art. 138 MwStSystRL) und die Kunden würden innergemeinschaftliche Erwerbe in ihrem jeweiligen Land tätigen (Art. 2 Abs. 1 Buchst. b, Art. 40 MwStSystRL). P müsste die Lieferungen samt ausländischer MwSt-IdNr. der Kunden in seinen Zusammenfassenden Meldungen (ZM) angeben (Art. 262 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL).
... und mit Kommissionär: Würden nun beide Lieferungen, die durch Art. 14 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL fingiert werden (also von P an V und von V an die Kunden), so behandelt, wie die Lieferung des P an die Kunden, wenn es keine Kommissionärsstruktur gäbe (s. oben III.1.), gäbe es jeweils zwei i.g. Lieferungen in Deutschland (und vermutlich auch zwei i.g. Erwerbe in den Zielländern). Dann müsste nicht nur P seine (fingierten) i.g. Lieferungen (z.B. an die französische Vertriebsgesellschaft FR) in den Voranmeldungen und der ZM in Deutschland angeben. FR müsste vielmehr – nach ihrer Registrierung beim zuständigen deutschen Finanzamt – dasselbe für ihre (fingierten) i.g. Lieferungen an die Kunden tun. P müsste (vermutlich) bei der Meldung der i.g. Lieferungen in der ZM die französische MwSt-IdNr. der FR und FR müsste die französischen MwSt-IdNr. der Kunden angeben. Der gemeldete i.g. Warenumsatz (in Kommissionärsstrukturen) würde sich verdoppeln. Letztendlich müssten sowohl P als auch FR Buch- und Belegnachweise i.S.d. §§ 17a ff. UStDV führen können.
Art. 36a MwStSystRL würde leerlaufen: Würden die Vertriebsgesellschaften die Versendung der Waren von Deutschland an die Kunden veranlassen, dürfte Art. 36a MwStSystRL in dieser Kommissionärsstruktur ohne Anwendungsbereich sein. Schließlich lägen ja aufgrund der Fiktion des Art. 14 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL bereits zwei i.g. Lieferungen vor, d.h. eine Zuordnung des Transports, um festzustellen, welche der beiden Lieferungen die "bewegte" steuerfreie i.g. Lieferung ist, wäre nicht mehr erforderlich.
Keine "Dreiecksgeschäfte" möglich: Sofern eine Vertriebsgesellschaft Waren an Kunden in verschiedenen Ländern verkauft (z.B. Vertriebsgesellschaft V in Antwerpen für Benelux), werden in der Praxis auch die Sonderregelungen für "Dreiecksgeschäfte" (Art. 42, 141, 197, 265 MwStSystRL) angewendet. Das allerdings wäre bei Zugrundelegung des oben angenommenen Verständnisses des BFH schon deswegen nicht möglich, weil die in Belgien ansässige Vertriebsgesellschaft V im Anschluss an den i.g. Erwerb keine Lieferung i.S.d. Art. 141 Buchst. b MwStSystRL im Zielland, in dem sie nicht ansässig ist (hier Niederlande oder Luxemburg), ausführen würde (sie würde ja eine i.g. Lieferung in Deutschland ausführen).
3. Wohl nicht gängige Praxis
In der Praxis getrennte Beurteilung der Lieferungen: Aufgrund der vorgenannten Ungereimtheiten dürfte davon auszugehen sein, dass die Unternehmen, die ihre Waren in einer Kommissionärsstruktur innergemeinschaftlich vertreiben, nicht die vom BFH im Vorlagebeschluss dargestellten Grundsätze anwenden (hiervon wäre ihnen u.E. aus heutiger Sicht unter dem Gesichtspunkt steuerlicher "Compliance" wohl auch dringend abzuraten). Die Unternehmen werden in der Praxis vielmehr die steuerliche Behandlung der Lieferungen vom Kommittenten an den Kommissionär und vom Kommissionär an die Kunden separat ermitteln (s. oben IV.3.). Es ist folglich anzunehmen, dass P seine Lieferungen an die Vertriebstochtergesellschaften als (steuerfreie) i.g. Lieferungen behandelt und letztere ihre Lieferungen an die Kunden als lokale (steuerpflichtige) Lieferungen (bei Ansässigkeit des Kunden in einem anderen MS ggf. unter Anwendung der Sonderregelungen für "Dreiecksgeschäfte").