Leitsatz
1. Bei einem finanzgerichtlichen Klageverfahren, das im Vergleich zu dem typischen in dieser Gerichtsbarkeit zu bearbeitenden Verfahren keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, besteht die Vermutung, dass die Dauer des Verfahrens angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und die damit begonnene Phase der gerichtlichen Aktivität nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt (Bestätigung der BFH-Rechtsprechung).
2. Wird das FG in einem Klageverfahren, das sowohl hinsichtlich seines Schwierigkeitsgrads als auch hinsichtlich seiner Bedeutung für die Verfahrensbeteiligten als durchschnittlich anzusehen ist, erstmals 34Monate nach Klageeingang tätig und bescheidet es mehrere Verzögerungsrügen und Sachstandsanfragen des Verfahrensbeteiligten entweder gar nicht oder lediglich mit nicht auf das konkrete Verfahren bezogenen Standard-Textbausteinen, ist die Verfahrensdauer im Umfang von neun Monaten als unangemessen anzusehen.
3. Führt ein Entschädigungsklageverfahren zur Zuerkennung eines Geldanspruchs, besteht zusätzlich ein Anspruch auf Prozesszinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (§ 288 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 291 BGB). Der erhöhte Zinssatz des § 288 Abs. 2 BGB (acht Prozentpunkte über dem Basiszinssatz) ist nicht anwendbar, weil ein Anspruch auf Entschädigung keine "Entgeltforderung" darstellt.
Normenkette
§ 198 Abs. 1 GVG, § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 291 BGB
Sachverhalt
In dem von März 2010 bis Februar 2013 anhängigen Ausgangsverfahren (FG Berlin-Brandenburg, 12 K 12057/10) ging es um die private und/oder berufliche Nutzung eines Pkws und die daraus folgenden steuerlichen Konsequenzen. Der Schriftsatzwechsel endete im August 2011. Trotz mehrerer Bitten des Klägers um Anberaumung eines Termins und trotz Erhebung zweier Verzögerungsrügen lud das FG erst im Januar 2013 zur mündlichen Verhandlung, in der letztendlich die Erledigung der Hauptsache erklärt wurde.
Entscheidung
Die Klage war teilweise begründet. Für die Zeit von April bis Dezember 2013 sah der BfA das Verfahren als verzögert an und gewährte pro verzögertem Monat eine Entschädigung von 100 EUR, also insgesamt von 900 EUR.
Hinweis
Mit diesem Urteil bestätigt der für Entschädigungsklagen wegen der überlangen Dauer finanzgerichtlicher Verfahren zuständige X. Senat die Grundsätze seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. BFH, Urteil vom 7.11.2013, X K 13/12, BFHE 243, 126, BStBl II 2014, BFH/PR 2014, 106).
1. Insbesondere hält er an der pauschalierenden Vermutung fest, dass bei einem finanzgerichtlichen Klageverfahren, das im Vergleich zu dem typischen in dieser Gerichtsbarkeit zu bearbeitenden Verfahren keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, die Dauer des Verfahrens als angemessen angesehen werden kann, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und die damit begonnene ("dritte") Phase des Verfahrensablaufs nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt.
2. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Verfahrensbeteiligte rechtzeitig und in nachvollziehbarer Weise auf Umstände hinweist, aus denen eine besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens folgt, da die Angemessenheit des Verfahrens sich gem. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter richtet.
3.Es besteht ein Anspruch auf Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit der Entschädigungsklage (§ 66 FGO), der aus § 291 i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB folgt. Im Rahmen von Entschädigungsklagen sind die genannten Vorschriften auch in den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten anwendbar, weil Spezialregelungen, die den allgemeinen Anspruch auf Prozesszinsen verdrängen könnten, nicht bestehen. Die abgabenrechtlichen Regelungen über Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge (§ 236 AO) beziehen sich nur auf zu erstattende Steuern und Steuervergütungen.
4. Der auf § 288 Abs. 2 BGB gestützte Anspruch auf erhöhte Prozesszinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz kann demgegenüber nicht gewährt werden, weil er voraussetzt, dass es um eine "Entgeltforderung" handelt. Die Forderung auf eine Entschädigungszahlung ist aber keine Entgeltforderung.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.3.2014 – X K 8/13