Grundsätzlich muss eine volljährige Person selbst für den eigenen Lebensunterhalt aufkommen und die Grundbedürfnisse aus der Verwertung der ihr zur Verfügung stehenden Quellen, insbesondere der eigenen Arbeitskraft, befriedigen. Folglich wird angenommen, dass eine volljährige, arbeitsfähige Person die Kosten der eigenen Lebensführung selbst erwirtschaften kann. Wenn eine Person dem vorrangigen Einsatz der eigenen Arbeitskraft nicht nachkommt, gilt diese, nach Rechtsprechung des BFH in Anlehnung an die zivilrechtlichen Grundsätze beim Verwandtenunterhalt, als nicht unterstützungsbedürftig (mangels Zwangsläufigkeit).
Dies gilt nicht, wenn besondere Umstände, z. B. Krankheit, Behinderung oder Arbeitslosigkeit, trotz ordnungsgemäßer Bemühungen, dies einschränken oder unmöglich machen. Als weitere Ausnahmen, die eine Erwerbsobliegenheit ausschließen, gelten auch die Betreuung von Kindern unter 6 Jahren, die Pflege Angehöriger oder eine Vollzeitausbildung. Bei Fällen von Unterstützung im Ausland erachtet das BMF auch das Beziehen einer Rente aufgrund von schlechter Gesundheit oder Behinderung als Ausnahme.
Die Erwerbsobliegenheit entfällt mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze i. S. d. Altersrente nach § 235 SGB VI und dem damit verbundenen Anspruch auf Regelaltersrente. Mögliche Einkünfte aus einer unterlassenen Erwerbstätigkeit können der Bedürftigkeit entgegenstehen, falls eine Erwerbstätigkeit zumutbar ist, und sind ggf. als fiktive Einkünfte zu schätzen und anzurechnen.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die tatsächliche Bedürftigkeit des Unterhaltsempfängers im Einzelfall jeweils konkret zu bestimmen. Das bedeutet, dass bei volljährigen Unterhaltsberechtigten die generelle Erwerbsobliegenheit zu prüfen ist. Diese konkrete Betrachtungsweise wird bezüglich der Bedürftigkeit bzw. Erwerbsobliegenheit in Fällen des § 33a EStG angewendet.
Bei Inlandssachverhalten wendet die Verwaltung dagegen aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung weiterhin eine abstrakte Betrachtungsweise an. Damit wird eine Bedürftigkeit bei unbeschränkt Steuerpflichtigen typisierend unterstellt, soweit eine Person dem Grunde nach unterhaltsberechtigt ist, Unterhaltsleistungen erhält und über keine ausreichenden Einkünfte und Bezüge und lediglich ein geringes oder kein Vermögen verfügt. Eine Prüfung der Erwerbsobliegenheit ist daher nicht erforderlich.
Falls einzelne Sachbearbeiter von dieser Richtlinie abweichen und auch bei Personen, die der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen, eine Erwerbsobliegenheit voraussetzen, sollte nach unserer Auffassung ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und Vertrauensschutz geltend gemacht und der Erlass der Steuern aufgrund sachlicher Unbilligkeit beantragt werden. Denn die Verwaltungsvorschriften, u. a. die BMF-Schreiben v. 7.6.2010 und 6.4.2022 und die zuletzt im Jahr 2012 geänderten Einkommensteuer-Richtlinien, stellen eine eindeutige Äußerung der Finanzverwaltung dar, wie Inlandsfälle zu behandeln sind. Das dadurch geschaffene, nachhaltige Vertrauen in die Verwaltungspraxis und die Berücksichtigung der Richtlinie in der absoluten Mehrheit der Veranlagungen begründen, bei einem Abweichen von der Verwaltungsanordnung und Praxis im Einzelfall, einen Erlass der Steuern. Zudem sind die Finanzämter als nachgeordnete Dienststelle an die Verwaltungsanweisungen in Form der Einkommensteuer-Richtlinien, erlassen durch die Bundesregierung, kraft Beamtenrechts gebunden.
In Fällen von Unterhaltsleistungen im Rahmen von sozialrechtlichen Bedarfsgemeinschaften bzw. an eine gesetzlich unterhaltsberechtigte gleichgestellte Person gilt keine Erwerbsobliegenheit für die unterstützte Person. Denn in jedem Fall verweist der Tatbestand der Bedarfsgemeinschaft bzw. Haushaltsgemeinschaft den bedürftigen Unterhaltsempfänger auf das Einkommen und Vermögen des Unterhaltsleistenden. Damit entfällt bei gleichgestellten Personen auch die Anrechnung fiktiver Einkünfte.
Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung ist Arbeitslosigkeit auch ein Umstand, der dazu führen kann, dass die Erwerbsobliegenheit einer arbeitsfähigen, unterstützten Person entfällt und damit die Bedürftigkeit i. S. d. § 1602 BGB zum Abzug der Unterhaltsaufwendungen berechtigt. Jedoch ist einschränkend zu berücksichtigen, dass die betroffene Person ihrer Erwerbsobliegenheit in der Form nachgekommen sein muss, dass sie sich unter Einsatz aller zumutbaren und möglichen Mittel nachhaltig bemüht hat, eine Beschäftigung zu finden. Hierbei wird auf die Rechtsprechung des BGH zum Verwandtenunterhalt abgestellt.
Nur insoweit ein objektivierter Nachweis der Erwerbsbemühungen erbracht werden kann, ist die unterstützte Person als unterstützungsbedürftig zu betrachten. Dieser Nachweis kann u. a. durch eine Arbeitslosenmeldung im ausländischen Staat und ausreichende Bemühungen um eine Beschäftigung erbracht werden.
Nach dem Urteil des BFH dürfen von ausländische...