Stellt die ertragsteuerliche Organschaft ein erbschaftsteuerliches Risiko dar?
[Ohne Titel]
Dipl.-Finw. René Sobisch, StAR
Große- oder mittelgroße Familienunternehmen sind häufig in komplexen Unternehmensstrukturen mit mehrstufigem Beteiligungsbesitz organisiert. Die Unternehmensnachfolge bei einem derartig strukturierten Familienkonzern betrifft oftmals auch die Konstellation einer ertragsteuerlichen Organschaft i.S.d. § 14 KStG. Hierbei stehen zumeist ertragsteuerliche Besteuerungsvorteile im Vordergrund (s. hierzu: Herkens, GmbH-StB 2023, 245 [in dieser Ausgabe]). Weitestgehend unerschlossen sind hingegen erbschaft- und schenkungsteuerliche Implikationen der ertragsteuerlichen Organschaft. Sowohl die aktuelle Entscheidung des BFH v. 2.11.2022 zu den Bilanzierungsfolgen beim Organgesellschaftsverlust (BFH v. 2.11.2022 – I R 37/19, BStBl. II 2023, 409 = GmbH-StB 2023, 96 [Schimmele]) als auch die Auswirkungen des Körperschaftsteuermodernisierungsgesetzes v. 25.6.2021 zur Einlagelösung für Minder- oder Mehrabführungen gem. § 14 Abs. 4 KStG n.F. (s. hierzu auch: Schwetlik/Mach, GmbH-StB 2023, 79) geben Anlass für eine steuerfachliche Analyse aus Sicht der Erbschaft- und Schenkungsteuer.
I. Ertragsteuerliche Organschaft mit erbschaft- und schenkungsteuerlichen Folgewirkungen
Die Unternehmensnachfolge bei komplexen (Familien-)Unternehmensstrukturen mit mehrstufigem Beteiligungsbesitz betrifft oftmals auch die Konstellation einer ertragsteuerlichen Organschaft i.S.d. § 14 KStG.
Hier werden zuvorderst ertragsteuerliche Besteuerungsvorteile unterhalb der Spitzengesellschaft steuergestaltend verfolgt werden, indem z.B.
- erweiterte Verlustverrechnungsmöglichkeiten genutzt werden oder
- für den Ausschüttungsfall eine "Schachtelbesteuerungsrestbemessungsrundlage" i.H.v. 60 % oder 5 % gem. § 3 Nr. 40 EStG bzw. § 8b Abs. 5 KStG vermieden wird.
Erbschaft- und schenkungsteuerliche Implikationen der ertragsteuerlichen Organschaft sind in Rechtsprechung, Verwaltungsvorschriften und Fachliteratur weitestgehend unerschlossen. Anlass für eine steuerfachliche Analyse aus Sicht der Erbschaft- und Schenkungsteuer geben
- aktuelle BFH-Rechtsprechung zu den Bilanzierungsfolgen beim Organgesellschaftsverlust (BFH v. 2.11.2022 – I R 37/19, GmbH-StB 2023, 96 (Schimmele) = BStBl. II 2023, 409) sowie
- die Auswirkungen des Körperschaftsteuermodernisierungsgesetzes v. 25.6.2021 zur Einlagelösung für Minder- oder Mehrabführungen gem. § 14 Abs. 4 KStG n.F.
Hierbei werden im Folgenden Antworten und verbleibende Zweifelsfragen aufgezeigt für die jeweilige Organschaftssituation:
- Organgesellschaftsverlust (s. im Folgenden unter II.),
- Minderabführung (s. im Folgenden unter III.),
- Mehrabführung (s. im Folgenden unter IV.).
II. "Organgesellschaftsverlust": Verlustübernahmeforderung als junge Finanzmittel
Die erbschaft- und schenkungsteuerlichen Besonderheiten der Verlustübernahmeforderung beim Organgesellschaftsverlust sollen an folgendem Beispiel veranschaulicht werden.
Beispiel
A überträgt schenkweise seinen Kommanditanteil an der OT GmbH & Co. KG (Organträger) im Wege der vorweggenommenen Erbfolge mit Wirkung zum 1.2.2023. Im Wirtschaftsjahr (WJ) 2022 ergab sich bei der OG-1 GmbH ein handels- und steuerbilanzieller Verlust i.H.v. 1 Mio. EUR vor Verlustübernahme. In 2021 erzielte die OG-1 GmbH aus Vereinfachungsgründen ein ausgeglichenes Betriebsergebnis ohne Gewinnauswirkungen des Ergebnisabführungsvertrags (EAV) und der eigene Handels- und Steuerbilanzgewinn betrug aus Vereinfachungsgründen 0 EUR. Der gemeine Wert des Kommanditanteils beträgt 10 Mio. EUR (= Substanzwert).
Der I. Senat des BFH hat in seinem Urteil vom 2.11.2022 entschieden, dass die zutreffende Bilanzierung der Verlustübernahmeforderung der Organgesellschaft gegenüber dem Organträger als Aktivposten und korrespondierender Passivposten in den jeweiligen Jahresabschlüssen unabdingbare Voraussetzung für die tatsächliche Durchführung des Gewinnabführungsvertrags gem. § 14 Abs. 1 Nr. 3 KStG ist.
Fragen aus erbschaft- und schenkungsteuerlichem Blickwinkel: Aus erbschaft- und schenkungsteuerlichem Blickwinkel führen diese vorgreiflichen Grundsätze zur bilanziellen Erfassung des Verlustausgleichsanspruchs der Organgesellschaft entsprechend § 302 Abs. 1 AktG konsequenterweise zu den Fragen,
- ob dieser Bilanzansatz dem Grunde nach auf eine Einlage von Finanzmittelvermögen i.S.d. § 13b Abs. 4 Nr. 5 S. 2 ErbStG zurückzuführen ist (s. im Folgenden unter 1.) und
- gegebenenfalls wann dieser Einlagetransfer in zeitlicher Hinsicht im Hinblick auf den 2-Jahreszeitraum für das Vorliegen junger Finanzmittel stattfindet (s. im Folgenden unter 2.) sowie
- welche Bedeutung der Verbundvermögensaufstellung nach § 13b Abs. 9 ErbStG diesbezüglich für die Beurteilung von Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen verbundenen Unternehmen zukommt (s. im Folgenden unter 3.).