Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
* Die kindbedingten Freibeträge sind nur dann bei der Veranlagung des Kindergeldberechtigten zur Einkommensteuer abzuziehen, wenn die Freistellung des Existenzminimums des Kindes nicht durch das Kindergeld bewirkt wird. Das Kindergeld ist als Sozialleistung weder dem Betrag nach an dem Gesamtbetrag der Freibeträge zu orientieren noch gibt das Verfassungsrecht ein bestimmtes Verhältnis der Beträge zueinander vor.
* Leitsatz nicht amtlich
Normenkette
§ 31 EStG , § 32 Abs. 6 EStG , § 66 Abs. 1 EStG
Sachverhalt
Die Kläger hatten zwei Kinder, für die sie im Jahr 2000 Kindergeld bezogen. Den Abzug eines Kinder- und Betreuungsfreibetrags bei der Einkommensteuerveranlagung lehnte der Beklagte mit dem Hinweis ab, dass die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes bereits durch das Kindergeld bewirkt worden sei.
Die Kläger vertraten demgegenüber die Ansicht, durch die gesetzliche Neuregelung sei die vom BVerfG aufgegebene einkommensteuerrechtliche Verschonung des Betreuungsbedarfs nicht erreicht worden, weil die notwendige Entlastung bezüglich der Betreuungskosten wegen der Progressionswirkung des Einkommensteuertarifs bei den meisten Steuerpflichtigen (ca. 80 %) nicht eintrete. Einspruch und Klage blieben erfolglos (EFG 2002, 1606).
Entscheidung
Die Revision blieb erfolglos. Nach Ansicht des BFH ist die Gesetzeslage eindeutig: Einen Kinder- und Betreuungsfreibetrag gibt es nur, wenn das Existenzminimum des Kindes nicht bereits durch das Kindergeld freigestellt ist.
Die gesetzliche Regelung verstoße nicht gegen die Verfassung. Das BVerfG habe es in das Ermessen des Gesetzgebers gestellt, ob die gebotene Entlastung- auch hinsichtlich des Betreuungsaufwands- durch das Kindergeld oder durch Steuerfreibeträge bewirkt werde. Zwar habe der Gesetzgeber das Kindergeld nicht entsprechend dem Betreuungsfreibetrag, sondern nur geringfügig erhöht; dagegen sei aber nichts einzuwenden, weil er nicht verpflichtet gewesen sei, das Kindergeld als staatliche Sozialleistung in einer bestimmten Höhe zu gewähren.
Hinweis
Wie die jährlich neu aufgeworfene Frage, ob das Kindergeld und die kindergeldbedingten Steuerfreibeträge den Vorgaben des BverfG zum Existenzminimum des Kindes und der Familie genügen, fordern die Kindergeldberechtigten regelmäßig mit jeder Änderung des Gesetzes eine erneute Prüfung der Frage, ob die unterschiedlichen betragsmäßigen Auswirkungen der Freistellung des Existenzminimums einerseits über das Einkommensteuerrecht, andererseits über das Kindergeldrecht noch mit der Verfassung vereinbar ist. Im Streitfall sollte der BFH klären, ob das Sozialstaatsprinzip verletzt ist, weil der ab dem Veranlagungszeitraum 2000 den Kinderfreibetrag ergänzende Kinderbetreuungsfreibetrag nur bei sehr hohen Einkommen zu einer steuerlichen Entlastung führe, bei den meisten Steuerpflichtigen die Freistellung des Existenzminimums aber nur über das Kindergeld bewirkt werde.
Ausgangspunkt dieses Streits ist die in § 31 Satz 1 EStG 2000 getroffene Regelung, dass die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich des Betreuungsbedarfs entweder durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch das Kindergeld nach dem X. Abschn. des EStG bewirkt werde. Gem. § 31 Satz 4 EStG sind die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG nur dann bei der Veranlagung zur Einkommensteuer abzuziehen, wenn die gebotene steuerliche Freistellung nicht in vollem Umfang durch das Kindergeld bewirkt wird. Die danach gebotene Vergleichsrechnung (sog. Günstigerprüfung) hat systemimmanent zur Folge, dass besser verdienende Steuerpflichtige einen Vorteil gegenüber denjenigen haben, die weniger verdienen oder bei denen sich die Freibeträge überhaupt nicht auswirken.
Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Kindergeld den Steuerfreibeträgen weder in einer bestimmten absoluten Mindesthöhe entsprechen noch in einem bestimmten Verhältnis zu diesen stehen muss. Das beruht darauf, dass das Kindergeld als Sozialleistung kein Recht auf eine bestimmte Höhe der staatlichen Förderung gewährt. Darauf hat der BFH bereits in mehreren Entscheidungen hingewiesen (vgl. Urteile vom 26.2.2002, VIII R 92/98, BStBl II 2002, 596 und vom 13.8.2002, VIII R 80/97, BFH/NV 2002, 1456). Der Gesetzgeber war lediglich verpflichtet, das nach sozialhilferechtlichen Kriterien zu ermittelnde Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner Familie einschließlich des Betreuungsbedarfs von der Einkommensteuer freizustellen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 11.3.2003, VIII R 76/02 (NV)