Differenzierung zwischen Jahrmarkt und Freizeitpark erlaubt: Hinsichtlich der vom FG Köln in der ersten Vorlagefrage erbetenen Definition bzw. Abgrenzung der Begriffe "Jahrmarkt", "Vergnügungspark" und "Freizeitpark" führt der EuGH aus, dass diese Begriffe weder in der Mehrwertsteuerrichtlinie noch in der betreffenden Durchführungsverordnung definiert werden. Da insoweit auch kein Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten enthalten ist, handelt es sich um autonome Begriffe des Unionsrechts, die in der gesamten Union eine einheitliche Auslegung erhalten müssen. Hierfür sind sie nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch eng auszulegen, da die Möglichkeit, einen ermäßigten Steuersatz anzuwenden, eine Ausnahme vom Grundsatz der Anwendung des Regelsteuersatzes darstellt. Nach gewöhnlichem Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff "Vergnügungspark" ein erschlossenes Gelände mit verschiedenen Einrichtungen zur Entspannung und Unterhaltung, während ein "Jahrmarkt" zwar grundsätzlich auch mit solchen Einrichtungen ausgestattet ist, aber dadurch gekennzeichnet ist, dass er, wenn auch mit gewisser Beständigkeit, temporär stattfindet. Darüber hinaus merkt der EuGH an, dass in Anhang III Nr. 7 der Mehrwertsteuerrichtlinie ausdrücklich sowohl "Jahrmärkte" als auch "Vergnügungsparks" genannt sind, was ebenfalls für eine Differenzierung zwischen den beiden Begriffen spricht. Danach fallen unter den Begriff "Jahrmarkt" die Leistungen von Schaustellern auf zeitlich begrenzter Basis mit ortsungebundenen Einrichtungen, während der Begriff "Vergnügungspark" ortsgebundene und damit dauerhafte Schaustellerleistungen umfasst. Demnach ist es Mitgliedstaaten nach Art. 98 i.V.m. Anhang III Nr. 7 Mehrwertsteuerrichtlinie grundsätzlich erlaubt, einen ermäßigten Steuersatz auf die Leistungen von ortsungebundenen Schaustellern anzuwenden, während die Leistungen von ortsgebundenen Schaustellern in Gestalt von Freizeitparks regelbesteuert werden.

Beachtung des Neutralitätsgrundsatzes geboten: Der EuGH weist aber gleichsam darauf hin, dass jeder Mitgliedsstaat, der den ermäßigten Steuersatz selektiv auf bestimmte in Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgeführte Dienstleistungen anwendet, den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten muss. Danach dürfen zwei gleichartige Dienstleistungen, die miteinander im Wettbewerb stehen, im Hinblick auf die Umsatzsteuer nicht unterschiedlich behandelt werden.

Gleichartigkeit der Dienstleistungen: Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung[2] ist von Gleichartigkeit auszugehen, wenn

  (1) sich aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers die Leistungen ähneln und bei ihm dieselben Bedürfnisse befriedigen und
  (2) zwischen den Leistungen bestehende Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers nicht erheblich beeinflussen.

Erste Voraussetzung erfüllt: Nach Ansicht des EuGH ist vorliegend die erste Voraussetzung erfüllt, da die Leistungen auf einem (ortsungebundenen) Jahrmarkt einerseits und in einem (ortsgebundenen) Freizeitpark andererseits ähnlich sind, weil der Verbraucher jeweils Schaustellerleistungen in Anspruch nimmt; zudem ist hinsichtlich der beim Verbraucher befriedigten Bedürfnisse von einem hohen Grad an Übereinstimmung auszugehen, da in beiden Fällen Unterhaltung, Freizeit, individuelles Glück sowie die Suche nach Abenteuer und Kontaktmöglichkeiten im Mittelpunkt stehen.

Zweite Voraussetzung fraglich: Hinsichtlich des Vorliegens der zweiten Voraussetzung, wonach die zwischen den Leistungen bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Verbrauchers nicht erheblich beeinflussen dürfen, geht der EuGH davon aus, dass neben Eigenschaftsunterschieden zwischen den Leistungen auch kontextuelle Unterschiede zu berücksichtigen sind. Kontextuelle Unterschiede liegen insbesondere im rechtlichen Rahmen und in der rechtlichen Regelung[3], können allerdings auch aus anderen Bereichen stammen. Vorliegend zählt der EuGH folgende, nicht den rechtlichen Kontext der Schaustellerleistungen betreffende Kriterien auf, die für die Beurteilung erheblich sein können:

  • Zeitliche Verfügbarkeit: Schaustellerleistungen auf einem Jahrmarkt stehen nur während eines begrenzten Zeitraums (d.h. einige Tage oder Wochen im Jahr) zur Verfügung, während Schaustellerleistungen in einem Freizeitpark ständig abrufbar sind.
  • Kulturelle und regionale Prägung: Schaustellerleistungen auf einem Jahrmarkt gehen oftmals auf regionales Brauchtum zurück und genießen daher als Kulturgut einen hohen Stellenwert im gesellschaftlichen Leben, was für Schaustellerleistungen in einem Freizeitpark dagegen weniger gilt.

Anschließend weist der EuGH noch auf die schriftlichen Erklärungen der deutschen Regierung hin, wonach ortsgebundene und ortsungebundene Schausteller nicht – wie vom FG Köln in seinem Vorlageersuchen ausgeführt – denselben nationalen rechtlichen Rahmenbedingungen unterliegen, da mit der Genehmigung für das Abhalten eines Jahrmarkts verschiedene Marktprivilegien einhergehen, die für die Dauer der Festsetzung zur Freistellung von bestimmten ...

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