Leitsatz
1. Für die Frage, ob eine Pfändungsverfügung i.S. des § 309 Abs. 1 Satz 2 AO in elektronischer Form vorliegt, ist darauf abzustellen, ob dem Adressaten ein elektronisches Dokument übermittelt wird (§ 87a Abs. 4 AO).
2. § 309 Abs. 1 Satz 2 AO verdrängt die Anwendung des § 119 Abs. 3 AO nicht insgesamt, sondern nur insoweit, als es um die Zulässigkeit einer Ersetzung der Schriftform durch die elektronische Form geht.
3. Pfändungsverfügungen können in der Regel nicht formularmäßig ergehen, weil es sich bei deren Erlass um Ermessensentscheidungen handelt, deren Begründung der Aufnahme der Ermessenserwägungen bedarf.
4. Mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassene Pfändungsverfügungen bedürfen gemäß § 119 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 AO keiner Unterschrift des zuständigen Bediensteten der Vollstreckungsstelle.
Normenkette
§ 309, § 87a Abs. 4, § 119 Abs. 3 Satz 2, § 314 AO, § 126 BGB, § 4 Buchst. b, § 3 Abs. 4 VwVG, § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB X
Sachverhalt
Die Klägerin ist ein Kreditinstitut, dem als Drittschuldner zwei Pfändungs- und Einziehungsverfügungen zugestellt worden waren.
Diese beiden Pfändungs- und Einziehungsverfügungen hatte das HZA über das IT-Verfahren "Elektronisches Vollstreckungssystem" (eVS) erstellt, über eine zentrale Druckstraße ausgedruckt und deren förmliche Zustellung an die Klägerin veranlasst. Der Briefkopf dieser Verfügungen enthält jeweils den Namen und die Anschrift des HZA und den Namen des Bearbeiters. Unterschrift oder Dienstsiegel fehlen. Sie schließen jeweils mit dem Satz: "Dieses Schriftstück ist ohne Unterschrift und ohne Namensangabe gültig". Die Klägerin wandte dagegen ein, die Verfügungen seien mangels Schriftform – fehlende Unterschrift – nicht wirksam.
Einspruch und Klage waren erfolglos. Das FG ging davon aus, dass es sich bei den Verfügungen um formularmäßige Verwaltungsakte handele, die nach § 119 Abs. 3 Satz 2 AO ohne Unterschrift oder Namenswiedergabe wirksam seien (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.11.2018, 11 K 2921/17, Haufe-Index 12602496, EFG 2019, 402).
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Er konnte nicht abschließend entscheiden, weil nicht klar war, nach welchen konkreten Vorgaben das behördeneigene IT-Verfahren eVS die Entscheidung der Behörde umsetzt.
Das FG wird deshalb zu ermitteln haben, wie genau das eVS durch das HZA genutzt wird; insbesondere in welcher Weise und unter welchen Voraussetzungen das System die von der Behörde zu treffenden Entscheidungen unterstützt und umsetzt.
Hinweis
Erstmals hat sich der BFH im Streitfall mit dem elektronischen Vollstreckungssystem (eVS) der Finanzbehörden befasst. Dieses IT-Verfahren ist seit März 2017 sukzessive eingeführt worden und ersetzt das alte IT-Verfahren AVS.
Neben eigenen Steuer- und Abgabenforderungen vollstrecken die HZA auch öffentlich-rechtliche Geldforderungen für sog. Fremdgläubiger, wie z.B. die Agenturen für Arbeit, Krankenkassen und Berufsgenossenschaften (§§ 4 Buchst. b, 3 Abs. 4 VwVG, § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Es handelt sich also um ein Massenverfahren. In der Regel werden die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen nicht unterschrieben, sondern mit dem Satz versehen: "Dieses Schriftstück ist ohne Unterschrift und ohne Namensangabe gültig". Daran störte sich die Klägerin im Streitfall.
Nach § 309 Abs. 1 Satz 1 AO muss eine Pfändungsverfügung schriftlich ergehen. Die elektronische Form ist ausdrücklich ausgeschlossen (§ 309 Abs. 1 Satz 2 AO). Wie sich aus § 87a Abs. 4 AO ergibt, kommt es hierfür nicht auf die Erzeugung der Verwaltungsakte mithilfe elektronischer Datenverarbeitungsanlagen an, sondern auf die äußere Form. Entscheidend ist, ob dem Adressaten ein elektronisches Dokument übermittelt wird. Das war unstreitig nicht der Fall.
Nach § 119 Abs. 3 Satz 2 AO muss ein schriftlicher Verwaltungsakt grundsätzlich die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten, woran es im Streitfall fehlte.
Zwei Ausnahmen kennt die AO: formularmäßig ergangene oder mithilfe automatischer Einrichtungen erlassene Verwaltungsakte (§ 119 Abs. 3 Satz 2 a.E. AO). Damit enthält die AO eine eigenständige Regelung für das Abgabenrecht, die der allgemeinen Regelung in § 126 BGB, wonach die Schriftform eine eigenhändige Unterschrift (oder ein notariell beglaubigtes Handzeichen) enthalten muss, vorgeht.
Die Beteiligten und das FG hatten sich vornehmlich mit der Frage beschäftigt, ob die Erleichterungen für formularmäßig ergangene Verwaltungsakte durch § 309 Abs. 1 Satz 2 AO als lex specialis verdrängt werden – Pfändungsverfügungen also stets Unterschrift oder Namenswiedergabe enthalten müssen.
Dem ist der BFH entgegengetreten, indem er klargestellt hat, dass § 309 Abs. 1 Satz 2 AO die Anwendung der in § 119 Abs. 3 Satz 2 AO enthaltenen Ausnahmeregelung nicht ausschließt.
Bedeutsamer noch dürfte die Aussage des BFH sein, dass eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung i.d.R. nicht formularmäßig ergehen darf, weil es sic...