Leitsatz

1. Eine Beweisaufnahme zu einem streitigen Vorbringen darf nicht abgelehnt werden, wenn der dem Beweisantrag zugrunde liegende Tatsachenvortrag konkret genug ist, um die Erheblichkeit des Vorbringens beurteilen zu können.

2. Ein Beweisantrag des Inhalts, ein Arbeitnehmer habe den "Mittelpunkt seiner Lebensinteressen" i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG an einem bestimmten Ort innegehabt, ist hinreichend substanziiert und bestimmt. Eine Pflicht, die den Begriff des Lebensmittelpunkts prägenden Einzeltatsachen zusätzlich zu benennen und unter Beweis zu stellen, besteht regelmäßig nicht.

3. Begründet ein FG im angefochtenen Urteil, weshalb es von der Erhebung eines beantragten Beweises abgesehen hat, so genügt für eine ordnungsgemäße Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht regelmäßig der Vortrag, das FG sei dem Beweisantritt nicht gefolgt.

 

Normenkette

§ 96 Abs. 1, § 76, § 81 Abs. 1 Satz 2, § 82, § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, § 373, § 377 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 6 EStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin begehrte den Ansatz der Entfernungspauschale für die Wege von ihrem (Sommer-)Wohnsitz in X zu ihrer Arbeitsstätte in B für fünf Monate (Mai bis September 2002).

Das FG wies die Klage ab. Es vertrat hierbei die Auffassung, der Lebensmittelpunkt der Klägerin habe sich in der maßgeblichen Zeit weiterhin in der Wohnung der Klägerin in B befunden. Diese hatte beantragt, zwei Zeugen darüber zu vernehmen, dass sie in dem genannten Zeitraum ihren Lebensmittelpunkt in X gehabt habe. Diesen Beweisantrag hatte das FG als unsubstanziiert abgelehnt.

 

Entscheidung

Der BFH sah die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin als begründet an. Das FG habe einen Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) begangen. Der BFH machte deshalb von der Möglichkeit des § 116 Abs. 6 FGO Gebrauch; er hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.

Das FG habe durch den Verzicht auf die Vernehmung der Zeugen seine Pflicht zur Sachaufklärung verletzt. Auf die beantragte Beweiserhebung habe nicht verzichtet werden können. Insbesondere sei der Beweisantritt hinreichend substanziiert gewesen. Der Begriff des (örtlichen) Mittelpunkts der Lebensinteressen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG) stelle nicht nur einen Rechtsbegriff dar, sondern sei auch eine beweisfähige Tatsachenbehauptung. Der vorliegende Beweisantrag sei hinreichend konkret gewesen.

 

Hinweis

1. Die nachträglich zur Veröffentlichung bestimmte Besprechungsentscheidung ist als Erinnerung an die FGe zu verstehen, die Anforderungen an einen substanziierten Beweisantrag nicht zu überspannen. Auch das Verfassungsrecht setzt hier Schranken. Der Beschluss soll den Blick darauf lenken, dass mit Beweisanträgen sorgfältig umgegangen und diese nicht aus übersteigerten Substanziierungsanforderungen (kurzerhand) abgelehnt werden.

2. Es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass das FG auf die von einem Beteiligten beantragte Beweiserhebung im Regelfall nur verzichten darf, wenn das Beweismittel – nach dem insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Standpunkt des FG – für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, wenn die infrage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann oder wenn das Beweismittel unerreichbar, unzulässig oder absolut untauglich ist. Feststehende Rechtsprechung ist überdies, dass die Ablehnung eines für eine beweiserhebliche Tatsache angetretenen Zeugenbeweises nur dann zulässig ist, wenn die unter Beweis gestellte Tatsache so ungenau bezeichnet ist, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber aufs Geratewohl gemacht, gleichsam "ins Blaue hinein" aufgestellt, mit anderen Worten, aus der Luft gegriffen ist und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellt.

3. Hinsichtlich der Substanziierung wurde von der Rechtsprechung wiederholt entschieden, dass der Vortrag von Tatsachen ausreichend ist, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, die daraus abgeleiteten Rechtsfolgen zu tragen. Ungeachtet einer evtl. bestehenden richterlichen Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2, § 139 ZPO), ist der Pflicht zur Substanziierung nur dann nicht genügt, wenn das Gericht aufgrund der Darstellung nicht beurteilen kann, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der an eine Behauptung geknüpften Rechtsfolgen erfüllt sind. Dabei ist die Angabe näherer Einzelheiten grundsätzlich nicht nötig. Diese zu den Vorschriften der §§ 373, 377 Abs. 2 Nr. 2 ZPO entwickelten Grundsätze sind auch für das finanzgerichtliche Verfahren maßgebend (vgl. § 82 FGO).

4. Im Streitfall ging das FG in der Vorentscheidung davon aus, dass ein Kläger seiner Darlegungspflicht nicht genüge, wenn er im Weg des Zeugenbeweises lediglich beantrage, er habe seinen "Lebensmittelpunkt" i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 6 EStG zu einer bestimmten Zeit in X innegehabt. Es ist zwar richtig, dass sich dieser Begriff aus einer Zusammenschau mehrerer Einzelta...

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