Leitsatz
1. Wird nach erfolglosem Untätigkeitseinspruch eine Untätigkeitsklage erhoben und ergeht daraufhin ein Steuerbescheid, der dem Antrag des Steuerpflichtigen ganz oder teilweise nicht entspricht, kann die Untätigkeitsklage als Anfechtungsklage fortgeführt werden.
2. Ein Unternehmer, der alle Maßnahmen getroffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in einen Betrug – sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug – einbezogen sind, kann auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen, ohne Gefahr zu laufen, sein Recht auf Vorsteuerabzug zu verlieren.
3. Der Umstand, dass eine Lieferung an einen Steuerpflichtigen vorgenommen wird, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in einen vom Verkäufer begangenen Betrug einbezogen war, steht dem Vorsteuerabzug nicht entgegen.
4. Ob ein Steuerpflichtiger wissen konnte oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, ist im Wesentlichen tatsächliche Würdigung, die dem FG obliegt. Nach den maßgebenden Beweisregeln trägt der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer die Feststellungslast für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen. Das gilt grundsätzlich auch für das Wissen oder Wissenkönnen vom Tatplan eines Vor- oder Nachlieferanten.
Normenkette
§ 14 Abs. 4, § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1999
Sachverhalt
Eine GmbH handelte mit Mobiltelefonen. Aufgrund umfangreicher Ermittlungen im Rahmen einer bundesweiten Steuerfahndungsprüfung ergab sich, dass die Klägerin u.a. auch Telefone von betrügerisch handelnden Vorlieferanten bezogen hatte. Das FA stimmte deshalb USt-Anmeldungen der Klägerin nicht mehr zu. Deshalb die Untätigkeitseinsprüche der Klägerin und – nachdem das FA diese unter Hinweis darauf, die Auswertung der Ermittlungen der Steuerfahndung seien zeitaufwendig und darüber hinaus auch wegen Personalmangels der Finanzverwaltung verzögert, abgewiesen hatte – die Untätigkeitsklage. Kurz darauf erließ das FA zwar die Bescheide, aber nicht im Sinn der Klägerin, die sich auf Unkenntnis der Einbeziehung in eine betrügerische Lieferkette berief.
Das FG bestätigte das FA (EFG 2004, 1558) zum einen, weil der Sitz eines Lieferanten (GmbH) zweifelhaft war, im Übrigen noch ohne Kenntnis der EuGH-Grundsätze zu Lieferungen bei USt-Karussellen.
Entscheidung
Der BFH verwies die Sache an das FG zurück, das die EuGH-Rechtsprechung zu "Karussellgeschäften" noch nicht berücksichtigen konnte. Bestätigt hatte er die Versagung des Vorsteuerabzugs aus Rechnungen einer GmbH; der Abzug der in der Rechnung einer GmbH ausgewiesenen USt ist nur möglich, wenn der in der Rechnung angegebene Sitz der GmbH bei Ausführung der Leistung und bei Rechnungstellung tatsächlich bestanden hat. Der Leistungsempfänger trägt hierfür die Feststellungslast (z.B. BFH, Urteil vom 27.6.1996, V R 51/93, BStBl II 1996, 620). Ob auch ein "Briefkasten-Sitz" mit postalischer Erreichbarkeit der Gesellschaft ausreicht – davon geht der BFH in der Entscheidung aus, ist nach dem später ergangenen Urteil des EuGH vom 28.6.2007, Rs. C-73/06 – Pflanzer –, BFH-PR 2007, 354 zweifelhaft, denn danach lässt sich eine fiktive Ansiedlung in der Form, wie sie für eine "Briefkastenfirma" oder für eine "Strohfirma" ccharakteristisch ist, weder als "Sitz einer wirtschaftlichen Tätigkeit" noch als "feste Niederlassung" einstufen.
Hinweis
1. Unter dem Begriff "Karussellgeschäfte" werden auch Fälle abgehandelt, in denen mit betrügerischem Hintergrund Lieferketten aufgebaut werden, bei denen planmäßig ein oder mehrere Händler "verschwinden", nachdem sie zwar Vorsteuer erhalten, aber ihre eigenen Umsätze noch nicht versteuert haben. Dazwischen sind sog. "Buffer", die ihre Umsätze ordnungsgemäß versteuern und – möglicherweise – von dem Gesamtplan nichts wissen. Ob Letzteres im Besprechungsfall zutraf, war zweifelhaft.
2. Der Fall betraf Mobiltelefone, die durch die sog. IMEI-Nr. identifiziert werden können. Ob deren Angabe in der Rechnung oder auf diese ergänzenden Unterlagen in den Streitjahren "handelsüblich" war, war nicht festgestellt. Zwar fordert das Gemeinschaftsrecht nur die Angabe von Menge und Art der gelieferten Gegenstände; der Zusatz handelsüblich fehlt. Eine nicht handelsübliche Bezeichnung, die ggf. zusammen mit den anderen Unterlagen (vgl. § 31 Abs. 1 UStDV) einen eindeutigen und leicht nachprüfbaren Nachweis erlaubt, dürfte deshalb dem Vorsteuerabzug nicht entgegenstehen.
3. Für den Vorsteuerabzug ist entscheidend, ob aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige von der Mehrwertsteuerhinterziehung in der Leistungskette wusste oder wissen konnte bzw. hätte wissen müssen. Das ist im Wesentlichen tatsächliche Würdigung, die allein dem FG obliegt. Dabei kann das FG berücksichtigen, ob der Unternehmer Maßnahmen unterlassen hat, die er vernünftigerweise hätte treffen müssen, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in eine...