Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Kommentar
Veräußert ein Unternehmer einen Miteigentumsanteil an einem Gegenstand wurde dies bisher von der Finanzverwaltung als Übertragung von Rechten und damit als sonstige Leistung angesehen. Nachdem der BFH entschieden hatte, dass auch über den Anteil an einem Gegenstand Verfügungsmacht verschafft werden kann, hat die Finanzverwaltung ihre Rechtsauffassung geändert und sieht die Veräußerung von Miteigentumsanteilen ebenfalls als Lieferung an.
Die rechtliche Problematik
Sind mehrere Personen Eigentümer eines Gegenstands (Bruchteilseigentum), kann auch von einzelnen ihr Miteigentumsanteil auf Dritte übertragen werden. Fraglich ist in diesen Fällen, ob es sich um eine Lieferung oder um eine sonstige Leistung handelt.
Die Abgrenzung, ob die Übertragung eines Miteigentumsanteils an einem Gegenstand eine Lieferung oder eine sonstige Leistung darstellt, hat insbesondere Einfluss auf die Festlegung des Orts der Leistung (Inland oder Ausland) und auf die Frage, ob bei steuerbaren Umsätzen eventuell eine Steuerbefreiung (Ausfuhrlieferung oder innergemeinschaftliche Lieferung) vorliegen kann.
Der BFH war früher davon ausgegangen, dass die Übertragung eines Miteigentumsanteils an einem Gegenstand im Rahmen einer sonstigen Leistung vollzogen wird. Mit Zustimmung des XI. Senats des BFH war der V. Senat dann aber von dieser Rechtsauffassung abgerückt und hat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH – wie auch der überwiegend in der Literatur vertretenen Auffassung – die Übertragung des Miteigentumsanteils an einem Gegenstand als eine Lieferung beurteilt. Damit bestimmt sich der Ort einer solchen Übertragung eines Miteigentumsanteils nach den Grundsätzen über die Lieferung und kann unter den weiteren Voraussetzungen als Ausfuhrlieferung oder innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei sein.
Die Anweisung des Bundesministeriums der Finanzen
Die Finanzverwaltung ändert nach den Vorgaben des BFH ihre Rechtsauffassung und legt fest, dass die Übertragung von Miteigentumsanteilen (Bruchteilseigentum) an einem Gegenstand eine Lieferung i. S. d. § 3 Abs. 1 UStG ist. Die dieser bisher entgegen stehenden Aussage in Abschn. 3.5 Abs. 3 Nr. 2 UStAE wird gestrichen.
Voraussetzung ist aber, dass durch die Übertragung des Miteigentumsanteils auch Verfügungsmacht i. S. d. § 3 Abs. 1 UStG übertragen wird. So bleibt es dabei, dass bei der Übertragung eines Miteigentumsanteils zur Sicherheit (Sicherungsübereignung) noch keine Verfügungsmacht verschafft wird und deshalb keine Lieferung vorliegen kann.
Bei der Übertragung von ideellen Miteigentumsanteilen an einem Goldbarrenbestand bzw. an einem Goldmünzenbestand war die Finanzverwaltung schon früher von einer Lieferung (Verschaffung der Verfügungsmacht) ausgegangen. Insoweit ergeben sich in diesem Bereich keine Änderungen in der Praxis.
Konsequenzen für die Praxis
Die Finanzverwaltung setzt nun die Rechtsprechung des BFH aus dem Jahr 2016 um und sieht die Übertragung von Miteigentumsanteilen an Gegenständen als Lieferung an.
Soweit solche Übertragungen ausschließlich im Inland und mit im Inland ansässigen Vertragspartnern vorgenommen werden, wird sich in der Praxis keine Veränderung ergeben. Werden solche Vorgänge aber grenzüberschreitend oder mit Vertragspartnern aus dem Ausland durchgeführt, kann sich aufgrund geänderter Festlegung des Orts der Leistung bzw. eventueller Steuerbefreiungsvorschriften eine andere Rechtsfolge ergeben, als dies früher der Fall war.
Die neuen Grundsätze sind in allen noch offenen Fällen anzuwenden. Die Finanzverwaltung beanstandet es aber nicht, wenn die Beteiligten bei Leistungen, die vor der Veröffentlichung des BMF-Schreibens im BStBl ausgeführt werden, einvernehmlich noch von sonstigen Leistungen ausgehen. Dies gilt entsprechend für den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers.
Link zur Verwaltungsanweisung
BMF, Schreiben v. 23.5.2019, III C 2 – S 7100/19/10002 :002, BStBl 2019 I S. 511.