2.1 Zugangsbewertung
Bei der erstmaligen Erfassung einer finanziellen Verbindlichkeit (im Gegensatz zur Sachleistungsverbindlichkeit und zur Verbindlichkeit aus Steuern) ist diese gemäß IFRS 9.5.1.1 nominell mit dem fair value, faktisch gemäß IFRS 9.B5.1.1 in der Regel mit den Anschaffungskosten (Vereinnahmungsbetrag bzw. consideration received) anzusetzen. Die Anschaffungskosten errechnen sich aus dem beizulegenden Zeitwert der erhaltenen Gegenleistungen unter Abzug von Emissionskosten. Da anders als in § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB nicht auf den Erfüllungsbetrag, sondern auf den Vereinnahmungsbetrag abzustellen ist, kommt es bei Vereinbarung eines Disagios zu vom Handelsrecht abweichenden Wertansätzen.
Beispiel
Die Penny AG erhält am 31.12.00 ein Darlehen von 100 Mio. EUR zu folgenden Konditionen ausgezahlt:
- Disagio 10 %,
- Zins (jährlich nachschüssig) 4,98 %,
- Rückzahlung 31.12.04.
Der Effektivzins beträgt 8 %. Der Vorstand möchte angesichts der Begehrlichkeit der Aktionäre einen möglichst niedrigen Jahresüberschuss ausweisen.
In der Handelsbilanz zum 31.12.00 ist das Darlehen mit dem Rückzahlungsbetrag von 100 Mio. EUR auszuweisen. Das Disagio in Höhe von 10 Mio. EUR muss nicht als Rechnungsabgrenzungsposten aktiviert werden. Die sofortige Aufwandsverrechnung ist zulässig.
Im IFRS-Abschluss ist die Verbindlichkeit mit ihren Anschaffungskosten anzusetzen. Sie ergeben sich aus dem vereinnahmten Betrag von 90 Mio. EUR.
2.2 Folgebewertung
2.2.1 Fortgeführte Anschaffungskosten
Zu den Folgestichtagen sind finanzielle Verbindlichkeiten gemäß IFRS 9.5.3.1 i. V. m. IFRS 9.4.2.1 in der Regel mit den fortgeführten (amortisierten) Anschaffungskosten zu bewerten. Die wichtigste Ausnahme betrifft Verbindlichkeiten aus derivativen Finanzinstrumenten; sie sind mit ihrem Zeitwert zu erfassen.
In dem Ausnahmefall gelten die Regelungen für aktive Finanzderivate analog und inklusive der besonderen Vorschriften für die Bilanzierung bei Sicherungsgeschäften.
In den praktisch dominierenden Fällen bleibt es bei der Bilanzierung zu fortgeführten (amortisierten) Anschaffungskosten. Diese ergeben sich bei verzinslichen Schulden aus der Anwendung der Effektivzinsmethode.
Beispiel
Die Penny AG erhält am 31.12.00 ein Darlehen von 100 Mio. EUR zu folgenden Konditionen ausgezahlt:
- Disagio 10 %,
- Zins (jährlich nachschüssig) 4,98 %,
- Rückzahlung 31.12.04.
Der Effektivzins beträgt 8 %. Bei Anschaffungskosten von 90 Mio. EUR ergeben sich die fortgeführten Anschaffungskosten wie folgt:
|
00 |
01 |
02 |
03 |
04 |
1.1. |
|
90,00 |
92,22 |
94,62 |
97,21 |
Effektivverzinsung 8 % |
|
7,20 |
7,38 |
7,57 |
7,77 |
Zinszahlung |
|
–4,98 |
–4,98 |
–4,98 |
–4,98 |
31.12. |
90,00 |
92,22 |
94,62 |
97,21 |
100,00 |
Seit 2005 erlaubte IAS 39, finanzielle Verbindlichkeiten wahlweise der erfolgswirksamen fair-value-Bewertung zu unterwerfen.
Ein Hauptnachteil dieser sog. fair value option soll an einem Beispiel verdeutlicht werden.
Beispiel
Unternehmen U rechnete nach internen Planungen kurz- bis mittelfristig mit einer Verschlechterung seiner Bonität. Es gelang ihm, einen größeren Finanzierungsbedarf noch durch Platzierung einer Festzins-Anleihe zu Konditionen erster Bonität zu decken. Die Verbindlichkeit aus der Anleihe wurde nach IAS 39 als Handelsverbindlichkeit gewillkürt.
Einige Zeit nach der Anleihenplatzierung verschlechterte sich die Bonität von U. Neue Fremdmittel hätten nur mit einem erheblich höheren Zinssatz aufgenommen werden können.
Das verschlechterte Rating senkte den Marktwert der Anleihe. U erzielte einen Gewinn aus der verschlechterten Bonität und buchte demzufolge: "per Verbindlichkeit an Ertrag (wegen gesunkener Bonität)".
Derartige Fehlanreize sind ein gewichtiger Einwand gegen die fair value option. Ein weiterer Einwand betrifft die Übersichtlichkeit und Vergleichbarkeit von Abschlüssen. Sie leiden prinzipiell durch die Zulassung von Wahlrechten. Zweifel am Sinn der fair value option waren daher von vielen Seiten bereits in der Entwurfsphase vorgebracht, vom IASB aber zunächst ignoriert worden. Erst als sich die Europäische Zentralbank (EZB) und andere politisch gewichtige Instanzen gegen die Übernahme der fair value option in europäisches Recht aussprachen, hat der IASB zunächst für IAS 39 und später für IFRS 9 eine erneute Änderung beschlossen. Sie schränkt die Option erheblich ein. In der Praxis der Industrie- und Handelsunternehmen sind die restriktiven Voraussetzungen kaum je erfüllt, sodass die Option hier nicht von hoher Relevanz ist.
Eine Ausnahme stellen strukturierte Verbindlichkeiten dar, in die nicht als Eigenkapital zu qualifizierende Derivate eingebettet sind. Nach IFRS 9.4.3.5 kann hier durch Option zum fair value auf die separate Erfassung von Grundvertrag und eingebettetem Derivat verzichtet werden. Jedoch ist der auf Bonitätsänderungen zurückzuführende Teil der fair-value-Schwankungen außerhalb der GuV, nämlich als OCI (other comprehensive income) zu erfassen (IFRS 9.5.7.7). Anders als im vorgenannten Beispiel zu IAS 39 führt die Bonitätsverschlechterung also nach IFRS 9 nicht mehr zu einem GuV-Erfolg.
Beispiel
Die X-AG begibt Anfang 01 an der Börse eine festverzin...