Wo sich der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung befindet, ist Tatfrage.
Bei einer Kapitalgesellschaft sind es i.d.R. die Büroräume der Geschäftsführung (BFH v. 29.4.1987 – X R 6/81, BFH/NV 1988, 63), ggf. auch, wie bereits angeführt, der Wohnsitz des Leiters (BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554), nicht aber der Ort der Zweigniederlassung (BFH v. 8.4.1976 – II R 55/74, BStBl. II 1976, 708). Auch eine Kapitalgesellschaft kann grundsätzlich nur einen Ort der Geschäftsleitung haben; werden die laufenden Geschäfte bzw. die Vertretung der Gesellschaft durch mehrere Personen wahrgenommen, ist entsprechend zu gewichten, um den Ort der Geschäftsleitung festzulegen (BFH v. 25.8.1999 – VIII R 76/95, BFH/NV 2000, 300). Er befindet sich i.d.R. dort, wo die zur Vertretung der Gesellschaft befugten Person die ihr nach dem Gesellschaftsvertrag und dem Gesetz obliegende geschäftsführende Tätigkeit entfaltet, d.h. an dem sie die tatsächlichen, organisatorischen und rechtsgeschäftlichen Handlungen vornimmt, die der gewöhnliche Betrieb der Gesellschaft mit sich bringt (BFH v. 19.3.2002 – I R 15/01, BFH/NV 2002, 1411).
Beraterhinweis Dabei sind jedoch immer die Verhältnisse des konkreten Einzelfalls zu beachten. Es hängt letztlich von den tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten ab, welche von ihnen für die Gesellschaft besonderes Gewicht haben, und auf welche deshalb bei der Bestimmung des Ortes der Geschäftsleitung abzustellen ist.
Für Personengesellschaften bedeutet § 10 AO, dass sich der Mittelpunkt der Geschäftsleitung regelmäßig dort befindet, wo die zur Vertretung befugten Personen die ihnen obliegende Geschäftsführertätigkeit entfalten. Für die Komplementär-GmbH einer KG ist deshalb entscheidend, an welchem Ort die für die GmbH handelnde Geschäftsführung die Geschäfte, die der gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes mit sich bringt, tatsächlich wahrnimmt (Wilke / Weber, Lehrbuch internationales Steuerrecht, Rz. 44).
Die Oberleitung als Ausübung von Leitungsfunktionen wird üblicherweise in dafür geeigneten Räumen ausgeübt. Allerdings ist eine feste – und eigene – Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit des Unternehmens dient, hierfür nicht erforderlich (BFH v. 28.7.1993 – I R 15/93, BStBl. II 1994, 148; Wilke / Weber, Lehrbuch internationales Steuerrecht, Rz. 42). Geschäftsleitende Handlungen i.S.d. Tagesgeschäfts eines Unternehmens können auch in der Wohnung des Geschäftsführers vorgenommen werden (BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554; Gersch in Klein, AO, § 10 Rz. 3). Die Geschäftsleitungsbetriebsstätte kann sich aber beispielsweise auch in den Räumlichkeiten einer eingeschalteten Dienstleistungs- oder Managementgesellschaft (BFH v. 3.7.1997 – IV R 58/95, BStBl. 1998, 86; v. 23.3.2022 – II R 35/20, BStBl. II 2022, 844) oder dem als Unterkunft bereitgestellten Baucontainer o.Ä. im Bauleistungsgewerbe (vgl. BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437) befinden. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass die Einschaltung eines Büroservice-Unternehmens nur dann beachtlich ist, wenn dort tatsächlich unternehmerische Entscheidungen von Gewicht (Geschäftsleitung) getroffen werden. Geschäftsleitungsentscheidungen auf Geschäftsreisen sind wegen des Fehlens einer ortsbezogenen Einrichtung am Tätigkeitsort und des Merkmals der Dauer regelmäßig nicht geeignet, einen Ort der Geschäftsleitung zu begründen (BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554; AEAO zu § 10, Ziff. 4).
Es ist möglich, dass ein Unternehmen mehrere Orte der Geschäftsleitung hat. In diesem Fall sind sie zu gewichten und der Ort der geschäftlichen Oberleitung festzulegen (Gersch in Klein, AO, § 10 Rz. 3). Letztendlich hat jedes Unternehmen einen Ort der geschäftlichen Oberleitung. Wenn sich die Geschäftsleitung nicht nur an einem Ort befindet, ist der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung dort zu suchen, wo sich die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht bedeutungsvollste Stelle befindet (BFH v. 5.11.2014 – IV R 30/11, BStBl. II 2015, 601 = AO-StB 2015, 67), im Zweifel wo sich das kaufmännische Büro, ggf. der Wohnsitz des leitenden Geschäftsführers befindet (BFH v. 20.12.2017 – I R 98/15, AO-StB 2018, 103 = BFH/NV 2018, 497). Befinden sich die kaufmännische und die technische Leitung an verschiedenen Orten, kommt es auf den Ort der kaufmännischen Leitung an (BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554; AEAO zu § 10, Ziff. 6; weiterführend Puls / Schaffer / Steiner / Ullmann, ISR 2024, 170).
Eine Organgesellschaft hat grundsätzlich einen eigenen Ort ihrer Geschäftsleitung, der nicht mit dem Ort der Geschäftsleitung des Organträgers zusammenfallen muss (BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175; Wilke / Weber, Lehrbuch internationales Steuerrecht, 16. Aufl. 2022, Ziff. 47). Ist die Organgesellschaft jedoch in wirtschaftlicher Hinsicht lediglich eine Betriebsabteilung des Organträgers, der geschäftsleitend selbst in die Tagespolitik des Organ...