Eine Betriebsstätte setzt ferner voraus, dass eine gewisse, nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht über die Räumlichkeiten oder den Platz der Geschäftsausübung besteht (BFH v. 4.7.2012 – II R 38/10, BStBl. II 2012, 782 = AO-StB 2012, 299; v. 18.3.2009 – BFH v. 14.11.2007 – II R 2/06, BFH v. 18.3.2009 – III R 2/06, BFH/NV 2009, 1457). Ein Vertrag, der eine Verfügungsmacht begründet, ist nicht erforderlich; die tatsächlich vorhandene Verfügungsmacht reicht aus (Gersch in Klein, AO, § 12 Rz. 5).
Eine alleinige Verfügungsmacht wird nicht verlangt. Ausreichend ist, wenn die Räumlichkeiten dauernd oder bei Bedarf für eine gewisse Dauer kraft eigener Verfügungsmacht genutzt bzw. mitgenutzt werden können. Entscheidend ist, dass die Verfügungsmacht aber über die bloße Mitbenutzung der Räumlichkeiten hinausgeht und mit einer Rechtsposition verbunden ist, die dem Unternehmer ohne seine Mitwirkung nicht mehr entzogen werden kann (Gersch in Klein, AO, § 12 Rz. 4). Der Unternehmer muss eine Rechtsposition innehaben, die ihm nicht ohne weiteres entzogen oder verändert werden kann (selbständiger Nutzungsanspruch). Es reichen weder die bloße Berechtigung der Nutzung im Interesse eines anderen noch die rein tatsächliche Nutzungsmöglichkeit aus (BFH v. 4.6.2008 – I R 30/07, BStBl. II 2008, 922 = AO-StB 2008, 266).
Beraterhinweis Die bereits angesprochene Ausdehnungstendenz führt aber dazu, dass mittlerweile auch eine lediglich allgemeine rechtliche Absicherung oder eine ständige Nutzungsbefugnis tatsächlicher Art genügen kann, zumindest wenn die Verfügungsmacht nicht bestritten wird (BFH v. 18.3.2009 – III R 2/06, BFH/NV 2009, 1457).
Beachten Sie: Die ggf. auch umfassende Übertragung der Aufgaben eines Unternehmens (Auftraggeber) auf einen selbständig tätigen Dritten (Auftragnehmer) ist dagegen grundsätzlich nicht geeignet, in dessen Räumen eine Betriebsstätte zu begründen. Eine Betriebsstätte des Auftraggebers in den Räumen des Auftragnehmers besteht allerdings, wenn der Auftraggeber in den Räumen des Auftragnehmers eigene betriebliche Handlungen mit einer gewissen Nachhaltigkeit vornimmt, z.B. die Überwachung des Auftragnehmers, die insb. in Fällen einer Personenidentität der Leitungsorgane von Auftraggeber und Auftragnehmer anzunehmen ist. Ein Verfügungsrecht über die Räumlichkeiten des Auftragnehmers ist ausnahmsweise dann nicht erforderlich, wenn der Auftraggeber aufgrund des zur Verfügung stehenden sachlichen und personellen Organismus in der Lage ist, seiner unternehmerischen Tätigkeit in den Räumen des Auftragnehmers operativ nachzugehen (BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, BStBl. II 2014, 764). Eine Betriebsstätte des Auftraggebers kann außerdem dann in den Räumen des Auftragnehmers bestehen, wenn nach den tatsächlichen Verhältnissen die Geschäftsleitung von dem Auftragnehmer tatsächlich ausgeübt wird (BFH v. 23.3.2022 – III R 35/20, BStBl. II 2022, 844 = AO-StB 2022, 304 (Schmieszek); AEAO zu § 12, Ziff. 3).
Homeoffice: Die Tätigkeit eines Arbeitnehmers in dessen häuslichen Homeoffice begründet i.d.R. keine Betriebsstätte des Arbeitsgebers. Allerdings ist hier eine deutliche Entwicklung im Bereich des internationalen Steuerrechts zu verzeichnen, auf welche unter Punkt 10 eingegangen wird.
Beraterhinweis Zusammenfassend kann als entscheidend für die Begründung einer Betriebsstätte angesehen werden, ob eine unternehmerische Tätigkeit in einer Geschäftseinrichtung oder Anlage mit fester örtlicher Bindung ausgeübt wird und sich in der Bindung eine gewisse Verwurzelung des Unternehmens mit dem Ort, an dem die unternehmerische Tätigkeit ausgeübt wird, ausdrückt (BFH v. 23.3.2022 – III R 35/20, BStBl. II 2022, 844 = AO-StB 2022, 304 (Schmieszek); v. 18.2.2021 – III R 8/19, BStBl. II 2021, 627; v. 26.7.2017 – III R 4/16, BFH/NV 2018, 233; v. 4.7.2012 – II R 38/10, BStBl. II 2012, 782 = AO-StB 2012, 299; AEAO zu § 12, Ziff. 5; Gersch in Klein, AO, § 12 Rz. 5). Hierbei sollte aber die Tendenz der Rechtsprechung, den Betriebsstättenbegriff auszudehnen, stets im Kopf behalten werden.