Die DBA enthalten regelmäßig eigenständige Regelungen über die Betriebsstätte mit der Funktion, die Aufteilung der Besteuerungsrechte zu regeln, z.B. Art. 5 OECD-MA 2017, Art. 6 OECD-MA 1982 (Erbschaftssteuer) und zahlreiche Einzel-DBA. Diese Regelungen haben im Geltungsbereich des DBA Vorrang vor § 12 AO, sind aber lediglich dann anwendbar, wenn nach deutschem Recht eine Betriebsstätte im Inland vorliegt (BFH v. 29.11.2017 – I R 58/15, BFH/NV 2018, 684; Gersch in Klein, AO, § 12 Rz. 1).
Soweit die Steuergesetze (insb. EStG und GewStG) den Begriff Betriebsstätte verwenden, ohne ihn selbst abweichend von § 12 AO zu definieren (wie etwa § 41 Abs. 2 EStG, s. oben), bestimmt sich dieser Begriff grundsätzlich nicht nach der Definition eines einschlägigen DBA, sondern nach innerstaatlichem Recht (BFH v. 20.7.2016 – I R 50/15, BStBl. II 2017, 230 = AO-StB 2016, 316). Die DBA legen lediglich fest, in welchem Umfang eine nach innerstaatlichem Recht – unter Berücksichtigung des § 12 AO – bestehende Steuerpflicht entfallen soll. Eine in einem DBA vorgenommene, von § 12 AO abweichende Definition des Begriffs Betriebsstätte ist daher nur im Rahmen dieses DBA anwendbar, sofern im innerstaatlichen Recht nichts anderes bestimmt ist (AEAO zu § 12, Ziff. 10). Hier besteht in der Praxis durchaus Konfliktpotential, weil der Betriebsstättenbegriff des § 12 AO nicht deckungsgleich zu jenem auf Abkommensebene ist.
Der Unterschied zwischen Art. 5 Abs. 1 OECD-MA und § 12 AO: Art. 5 OECD-MA und § 12 AO definieren zwar beide den Begriff Betriebsstätte durch eine Generalklausel und eine beispielhafte Aufzählung dessen, was als Betriebsstätte gilt bzw. nicht gilt. Nach der Generalklausel des Art. 5 Abs. 1 OECD-MA bedeutet Betriebsstätte eine Geschäftseinrichtung mit fester Beziehung zur Erdoberfläche, die von einer gewissen Dauer ist und durch die die Tätigkeit eines Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird. Der wesentliche Unterschied zwischen Art. 5 Abs. 1 OECD-MA einerseits und § 12 AO andererseits besteht darin, dass nach der AO eine Betriebsstätte bereits dann vorliegt, wenn die Einrichtung der Tätigkeit eines Unternehmens (lediglich) dient. Dagegen ist nach dem OECD-MA eine Betriebsstätte erst dann anzunehmen, wenn durch die Geschäftseinrichtung die Geschäftstätigkeit ganz oder teilweise ausgeübt wird (Wilke / Weber, Lehrbuch internationales Steuerrecht, Rz. 680).
In Art. 5 Abs. 2 OECD-MA findet sich eine beispielhafte Aufzählung (Regelbeispiele) dessen, was grundsätzlich als Betriebsstätte anzusehen ist:
- Ort der Leitung
- Zweigniederlassung
- Geschäftsstelle
- Fabrikationsstätte
- Werkstätte
- Einrichtungen zur Ausbeutung von Bodenschätzen
Art. 5 Abs. 3 OECD-MA enthält Ausführungen zur Bauausführung und Montage, die nur dann als Betriebsstätte i.S.d. Abkommens anzusehen sind, wenn ihre Dauer 12 Monate überschreitet. In den von Deutschland abgeschlossenen DBAs schwankt die erforderliche Mindestdauer je nach Abkommen zwischen 6 und 12 Monaten.
Art. 5 Abs. 4 OECD-MA enthält den Katalog der Betriebsstättenausnahmen. Diese Bestimmung geht den Abs. 1 bis 3 vor, d.h. auch in den Fällen, in denen alle Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 bis 3 OECD-MA erfüllt sind, ist für die Anwendung des Abkommens von dem Nichtvorliegen einer Betriebsstätte auszugehen. Hierzu zählen
- Einrichtungen zur Lagerung, Ausstellung und Auslieferung von Gütern und Waren, die dem Unternehmen gehören (z.B. Showroom eines Pkw-Herstellers),
- Bestände an Gütern und Waren, die nur zur Lagerung, Ausstellung und Auslieferung bereitgehalten werden,
- Bestände an Halbfabrikaten, die ausschließlich durch andere Unternehmen bearbeitet und dann wieder ins Ursprungland verbracht werden sollen,
- feste Geschäftseinrichtungen für den Einkauf von Gütern und Waren oder für die Informationsbeschaffung (z.B. Redaktionsaußenstelle einer deutschen Tageszeitung im Ausland),
- feste Geschäftseinrichtung für vorbereitende Tätigkeiten oder Hilfstätigkeiten.
Den in Abs. 4 genannten Tätigkeiten ist gemeinsam, dass es sich um eine Hilfs- oder Nebentätigkeit vorbereitender oder unterstützender Art zur eigentlichen gewerblichen Betätigung handelt. Der jeweilige Betriebsstättenausnahmetatbestand ist nur dann erfüllt, wenn die Hilfstätigkeit ausschließlich ausgeführt wird. Im Gegensatz zum OECD-MA stellen nach § 12 S. 2 Nr. 5 und 6 AO Warenlager sowie Ein- oder Verkaufsstellen Betriebsstätten dar; ferner kennt die AO keine Betriebsstättenausnahmen.
Beispiel:
Die inländische X-AG unterhält sowohl in Spanien als auch in Andorra Einkaufsbüros. Das Einkaufsbüro in Spanien stellt nach Art. 5 Abs. 3 Buchst. d DBA Spanien keine Betriebsstätte dar, während das Einkaufsbüro in Andorra (kein DBA-Staat) nach § 12 S. 2 Nr. 6 AO eine Betriebsstätte darstellt (Wilke / Weber, Lehrbuch internationales Steuerrecht, Rz. 720).
Der Betriebsstättenbegriff des Art. 5 OECD-MA ist dementsprechend deutlich enger gefasst als in § 12 AO. Erschwerend kommt hinzu, dass der nationale Betriebsstättenbegriff, wie bereits erwähnt, von der Rechtspr...