Leitsatz
Die Höhe der Nachforderungszinsen (§ 233a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO) für in das Jahr 2013 fallende Verzinsungszeiträume verstößt weder gegen den Gleichheitssatz noch gegen das Übermaßverbot.
Normenkette
§ 233a Abs. 1 Satz 1, § 238 Abs. 1 Satz 1 AO, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 100 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Der Kläger beantragte, die Einkommensteuervorauszahlungen 2011 wegen einer Sonderzahlung aus einer Beteiligung anzupassen. Das FA ordnete die Sonderzahlung entsprechend der Beurteilung durch das Feststellungs-FA den Einkünften aus Gewerbebetrieb zu und änderte den Vorauszahlungsbescheid unter Berücksichtigung einer Ermäßigung nach § 35 EStG i.H.v. 302.640 EUR. Nach einem Einspruchsverfahren wurde die Sonderzahlung später den Einkünften aus selbstständiger Arbeit zugerechnet. Der Kläger hatte die festgesetzten Vorauszahlungen entrichtet und zugleich auf einem gesonderten Bankkonto 300.000 EUR wegen der aus seiner Sicht drohenden Einkommensteuernachzahlung bereit gestellt.
Die Einkommensteuererklärung 2011 wurde im Dezember 2012 abgegeben. Im Juli 2013 zahlte der Kläger freiwillig 366.400 EUR an das FA. Im Einkommensteuerbescheid 2011 vom 26.9.2013 ging das FA ebenfalls von Einkünften aus selbstständiger Arbeit aus, womit die Ermäßigung nach § 35 EStG entfiel.
Mit der Einkommensteuerfestsetzung wurden Nachzahlungszinsen i.H.v. 11.721 EUR (zu verzinsender Unterschiedsbetrag: 390.700 EUR; Zinszeitraum: April bis September 2013) festgesetzt. Das Einspruchsverfahren blieb ohne Erfolg. Das FA erließ jedoch die Nachzahlungszinsen für August und September 2013.
Die Klage auf Aufhebung der Zinsfestsetzung, hilfsweise Verpflichtung zum Erlass der festgesetzten Zinsen, hatte keinen Erfolg (FG Düsseldorf, Urteil vom 10.3.2016, 16 K 2976/14 AO, Haufe-Index 9460289, EFG 2016, 1053).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück.
Hinweis
Die Frage, ob Nachzahlungszinsen i.H.v. 6 % p.a. trotz der andauernden Niedrigzinsphase noch hinnehmbar sind, wird in der Presse breit diskutiert und war am 21.3.2017 Gegenstand eines Symposiums im BFH (Tagungsbericht im DStR-Beihefter 2017). Noch heftiger wird in Fachkreisen die Festschreibung des Rechnungszinsfußes für Pensionsrückstellungen kritisiert (§ 6a Abs. 3 Satz 3 EStG), den das FG Köln für verfassungswidrig hält (FG Köln, Vorlagebeschluss vom 12.10.2017, 10 K 977/17, EFG 2018, 287).
1. Der BFH befasst sich im Besprechungsurteil zunächst mit der Frage, ob die § 233a, § 238 AO verfassungswidrig sind und daher eine Vorlage an das BVerfG erforderlich ist. Dies wird anhand des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) geprüft und verneint, weil
2. Der BFH prüft und verneint die Verfassungswidrigkeit weiter anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) und referiert zur Begründung den o.a. BVerfG-Beschluss, wonach der Gesetzgeber eine für die Verwaltung einfache und praktikable Regelung ohne Ermittlung des konkreten Zinsvorteils oder -nachteils im Einzelfall beabsichtigte. Der Gesetzgeber könne von einer Anpassung an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz nach § 247 BGB absehen. Es hänge überdies von subjektiven Entscheidungen des Steuerpflichtigen ab, wie er Steuernachzahlungen finanziere oder das noch nicht für Steuerzahlungen benötigte Kapital verwende.
Zur Bemessung des abzuschöpfenden Liquiditätsvorteils stellt der BFH sodann nicht allein auf Anlage-, sondern auch auf Finanzierungszinssätze ab, weil eine späte Steuerzahlung auch die Finanzierung des Nachzahlungsbetrages ersparen kann. Das Urteil enthält dementsprechend eine umfangreiche Tabelle mit zahlreichen unterschiedlichen Zinssätzen des Jahres 2013 (u.a. Einlagezinssätze mit unterschiedlichen Laufzeiten, Konsumentenkredite, Kreditkartenkredite und Kredite an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften), die zwischen 0,15 % und 14,7 % lagen. Der Zinssatz des § 238 Abs. 1 AO habe daher trotz des seit 2011 unter 1 % gefallenen Leitzinses seinen Realitätsbezug nicht verloren, sondern bewege sich 2013 noch innerhalb der Bandbreite der Referenzwerte.
3. Durch freiwillige Zahlungen lässt sich ein Erlass erreichen; die ermessenslenkende Verwaltungsanweisung dazu (Nr. 70.1.2 Satz 2 AEAO zu § 233aAO) wird vom BFH gebilligt. Einen darüber hinausgehenden Erlassanspruch auf taggenaue Berücksichtigung der freiwilligen Zahlung oder wegen Verschuldens des FA an der verzögerten Festsetzung lehnt der BFH ab.
4. Das Urteil ist zweifellos nicht das letzte Wort in dieser Sache. Wie könnte es weitergehen? Die bisherige BFH-Rechtsprechung tastete sich in...