[Ohne Titel]
StB, Dipl.-Finw. (FH) Julian Stark, LL.M.
Im finanzgerichtlichen Verfahren wurde bisher nicht entschieden, wie der Durchbruch der Rechtssicherheit zugunsten der Rechtsrichtigkeit über § 181 Abs. 5 S. 1 AO in mehrstöckigen Feststellungsverfahren bei doppelstöckigen Personengesellschaften oder Zurechnungsfällen nach § 14 AStG a.F. anzuwenden ist. Der Beitrag zeigt einen Lösungsansatz für praktische Fälle auf, der bei eingetretener Feststellungsverjährung im Rechtsbehelfsverfahren als Argumentationshilfe gegen die Anwendung des § 181 Abs. 5 AO dienen kann.
1. Einleitung
Feststellungsbescheide entfalten Bindungswirkung für Folgebescheide (§ 182 Abs. 1 S. 1 AO) und stellen entsprechend Grundlagenbescheide i.S.d. § 171 Abs. 10 S. 1 AO dar. Je nach gewählter Gesellschaftsstruktur gibt es in der Praxis verschiedene Szenarien, in denen ein Feststellungsbescheid als Grundlagenbescheid Einfluss in einen weiteren Feststellungsbescheid als Folgebescheid findet. Dies ist beispielsweise bei mehrstöckigen Personengesellschaften oder Zurechnungsfällen für Zwecke der Hinzurechnungsbesteuerung nach § 14 AStG a.F. der Fall. Während die Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung durch das ATADUmsG vom 25.6.2021 mit Wirkung ab dem 1.1.2022 u.a. grundlegend dahingehend geändert wurden, dass es Zurechnungen i.S.d. § 14 AStG a.F. nicht mehr gibt, laufen Betriebsprüfungen zu den Wirtschaftsjahren nach alter Rechtslage gerade erst an. Bei der Frage der Feststellungsverjährung kann hier strittig sein, wie § 181 Abs. 5 S. 1 AO auf mehrstufige Feststellungsverfahren anzuwenden ist. Nachfolgend wird untersucht, ob bei eingetretener Feststellungsverjährung auf erster Stufe für die Anwendung des § 181 Abs. 5 S. 1 AO auf die Verjährung der Steuerfestsetzung auf oberster Stufe oder auf die Verjährung der Feststellung auf der jeweils nächsten Stufe abgestellt werden muss.
2. Rechtssicherheit vs. Rechtsrichtigkeit
Das Rechtsinstrument der Verjährung hat den Zweck, Rechtssicherheit unabhängig von der Rechtsrichtigkeit eintreten zu lassen. Über § 181 Abs. 1 S. 1 AO gelten die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung für gesonderte Feststellungen entsprechend. Feststellungsfrist und Festsetzungsfrist müssen getrennt geprüft werden, die Verjährung kann unabhängig von der jeweils anderen Frist eintreten. Das Verhältnis zwischen Feststellungsverjährung und Festsetzungsverjährung ist also von einer Zweigleisigkeit geprägt, die unter den Voraussetzungen des § 181 Abs. 5 S. 1 AO durchbrochen wird.
Durchbruch der Rechtssicherheit zugunsten der Rechtsrichtigkeit bei einstufigen Feststellungsverfahren: Durch diese Vorschrift ermächtigt der Gesetzgeber den Rechtsanwender, den Ausschluss der Rechtsrichtigkeit, der durch Rechtssicherheit eingetreten ist, zu durchbrechen und eine erstmalige oder geänderte, gesonderte Feststellung trotz eingetretener Verjährung vorzunehmen, wenn die gesonderte Feststellung "für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist".
Zwar spricht der Wortlaut der Vorschrift explizit nur von Steuerfestsetzungen, doch ist die Vorschrift über § 181 Abs. 1 S. 1 AO auch für Feststellungen anwendbar. In Literatur und Praxis wird teilweise die Auffassung vertreten, dass in mehrstufigen Feststellungsverfahren bei der Anwendung des § 181 Abs. 5 S. 1 AO auf die Verjährung der Festsetzung auf oberster Stufe abgestellt werden muss (vgl. Frotscher in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 181 Rz. 38 [2.10.2020]). Demnach kommt dem Feststellungsverfahren nur eine dienende Funktion zur Verfahrensvereinfachung zu, das im Ergebnis darauf abzielt, in eine Steuerfestsetzung einzufließen. Nach diesem Ansatz hat die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen keinen Selbstzweck, so dass immer auf die Verjährung der Festsetzung auf oberster Stelle abgestellt werden muss. Im Ergebnis läuft die Rechtssicherheit der verjährten, gesonderten Feststellung so ins Leere, soweit die dienende Funktion der gesonderten Feststellung noch für eine Steuerfestsetzung benötigt wird.
Durchbruch der Rechtssicherheit zugunsten der Rechtsrichtigkeit auch bei mehrstufigen Feststellungsverfahren? In Bezug auf einstufige Feststellungsverfahren ergibt sich dieser Ansatz zweifellos aus dem Gesetz (§ 181 Abs. 5 S. 1 AO). Richtig ist, dass eine gesonderte Feststellung nie Selbstzweck hat, sondern sich im Zweck einer dienenden Funktion erschöpft. Fraglich ist jedoch, ob Gesetz oder Rechtsprechung einen Durchbruch der Rechtssicherheit zugunsten der Rechtsrichtigkeit auch bei mehrstufigen Feststellungsverfahren mit der Maßgabe erlauben, dass stets auf eine beliebige Stufe in der Feststellungskette bzw. auf die Festsetzungsverjährung auf oberster Stufe abzustellen ist. Meines Erachtens ist dies zu verneinen, vielmehr darf nur auf die Verjährung der jeweils nächsten Stufe abgestellt werden.
3. Wortlaut des § 181 Abs. 5 S. 1 AO
Sofern der Wortlaut der Vorschrift darauf abstellt, dass die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzun...