Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Werden Wertpapiere, die innerhalb der Jahresfrist des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG mit Verlust veräußert werden, am selben Tag in gleicher Art und Anzahl, aber zu unterschiedlichem Kurs wieder gekauft, so liegt hierin kein Gestaltungsmissbrauch i.S.v. § 42 AO.
Normenkette
§ 42 AO, § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG
Sachverhalt
Die Herren K sind Beteiligte einer GbR. Als solche kauften sie im Frühjahr des Jahrs 2000 börsennotierte Aktien zweier Kapitalgesellschaften. Im Dezember 2000 verkauften sie diese Aktien mit Verlust, um am selben Tag die gleiche Anzahl von Aktien wieder zu kaufen. Im Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung erkannte das FA die Verluste wegen Gestaltungsmissbrauchs nicht an.
Das FG (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 01.08.2007, 1 K 51/06, Haufe-Index 1809378, EFG 2008, 54) gab der Klage statt, weil es die Voraussetzungen eines Missbrauchs (§ 42 AO) als nicht erfüllt ansah.
Entscheidung
Der BFH folgte dem FG aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Erwägungen und wies die Revision des FA zurück.
Hinweis
1. Die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG erfüllt, wer Wertpapiere – wie im Fall hier – innerhalb der Jahresfrist anschafft und mit Verlust veräußert. Damit verwirklicht der Steuerpflichtige den objektiven Tatbestand der Steuernorm, und zwar unabhängig davon, ob er kurze Zeit später gleichartige Wertpapiere wieder kauft. Dieser Wiederkauf macht den Verkauf nicht etwa rückgängig, sondern ist erster Teilakt (Anschaffung) eines eventuell erneut in Gang gesetzten Steuertatbestands, den der Steuerpflichtige indes nur erfüllt, wenn er die Wertpapiere wiederum binnen Jahresfrist veräußert. Der subjektive Tatbestand (Einkünfteerzielungsabsicht) wird durch die verhältnismäßig kurze Jahresfrist in typisierender Weise objektiviert.
2. Die Frage, die sich dem BFH stellte, war, ob es denn missbräuchlich sei, wenn ein Steuerpflichtiger Wertpapiere veräußert und kurze Zeit später wieder ankauft. Zeigt das nicht, dass der Steuerpflichtige eigentlich nur einen Verlust realisieren, die Wertpapiere aber in Wirklichkeit behalten will?
Diese Frage hat der BFH für den Fall von börsennotierten Aktien (nur darum ging es hier) klar verneint. Denn schließlich hat der Steuerpflichtige ja ein Kursrisiko, das sich im Streitfall auch verwirklichte. Denn die Verkaufs- und (Wieder-)Kaufpreise waren jeweils unterschiedlich. Deshalb wird das Tatbestandsmerkmal "Veräußerungsgeschäft" nicht nach § 42 S. 2 AO beseitigt.
3. Wenn es nämlich dem Zweck des § 23 EStG entspricht, realisierte Wertänderungen in Gestalt von Veräußerungsgewinnen aus verhältnismäßig kurzfristigen Wertdurchgängen eines Wirtschaftsguts im Privatvermögen des Steuerpflichtigen der ESt zu unterwerfen, stellt es keinen Gestaltungsmissbrauch dar, wenn der Steuerpflichtige gleichartige Wertpapiere kurz nach deren Veräußerung zu unterschiedlichen Preisen wieder erwirbt. Angesichts der Schwankungsbreite börsennotierter Wertpapiere und des daraus resultierenden Kursrisikos bewegt er sich insoweit im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben.
Es steht in seinem Belieben, ob, wann und mit welchem Risiko er von ihm gehaltene Wertpapiere ankauft, verkauft und danach wieder ankauft. Bei dem Verkauf von Wertpapieren und dem anschließenden Wiederkauf gleichartiger Wertpapiere zu unterschiedlichen Ankaufs- und Verkaufspreisen handelt es sich um eigenständige und damit auch separat zu beurteilende Vorgänge.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 25.08.2009 – IX R 60/07